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Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mawer
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denn wohl noch?
    »Nun, Sie müssen ihm sagen, dass ich ihn hier brauche. Vergessen Sie Professor Chadwicks Einladung, vergessen Sie die verdammten Kriegsanstrengungen – Lew Kowarski braucht ihn!«
    »Wird das genügen, um ihn zu überzeugen?«
    Der Mann grinste, blickte sie schräg von der Seite an. »Er ist Franzose. Sagen Sie es ihm so: Ich brauche ihn, weil sonst die Angelsachsen das ganze Projekt beherrschen. Schlimmer noch, die Amerikaner. Frankreich war auf diesem Gebiet führend und wird jetzt ausgebootet, er wird also gebraucht, um der französischen Sache zu helfen. Sagen Sie ihm …« Seine Augen verengten sich. »Sagen Sie ihm, sie machen sich mit Freds Arbeit aus dem Staub. Sagen Sie ihm, von Halban und Perrin sind nach Kanada abgehauen und haben mich hier allein zurückgelassen. Sagen Sie, ich bin fast am kritischen Punkt – können Sie sich das merken? Am kritischen Punkt. Sagen Sie ihm …« Er blickte kurz zu Ned hinüber. »Sagen Sie ihm, ich bin dem Element 94 auf der Spur. Merken Sie sich das. Element 94 .«
    »Das ist leicht zu merken. Aber was bedeutet es?«
    Kowarski lachte wieder. Es war ein typisch russisches Lachen, nach außen hin humorvoll, mit einer kalten, dunklen Strömung unter der Oberfläche. »Es bedeutet«, sagte er, »das Ende des Krieges. Vielleicht das Ende der Welt.«
    XII
    Sie wartete unter der Uhr im Bahnhof Paddington und dachte über Alice nach. Ein junges Mädchen, das auf einem Meer aus Träumen treibt, umgeben von Monstern. Es bedeutet das Ende des Krieges. Vielleicht das Ende der Welt. Sie war erleichtert, als sie Benoît durch das Menschengewimmel kommen sah, in der Uniform der Freien Französischen Streitkräfte, einen Seesack über der Schulter. Er hatte sie am Telefon vorgewarnt: »Ich trage meine Uniform. Vielleicht halten sie mich ja dann sogar für einen Gentleman.« Und es war ihr egal, ob er ein Gentleman war oder nicht, als sie den Bahnsteig entlang zum Zug nach Oxford gingen. Er war Franzose, eine Rettungsleine, die sie mit Frankreich verband, ein echter Franzose, verglichen mit der zweifelhaften Mischform, die sie als Anglofranzösin darstellte. Und ein unkomplizierter Mann, gemessen an der quälenden Verworrenheit dessen, was Clément für sie gewesen sein mochte oder nicht oder woran er in den Labors des Collège de France gearbeitet haben mochte oder nicht.
    Er breitete die Arme aus und drückte sie, ohne sich um die Passagiere zu kümmern, die gönnerhaft lächelnd zuschauten. Wieso war sie wieder in London? Hatte sie ein Rendezvous mit einem anderen? Hatte sie Liebhaber im ganzen Land?
    Sie lachte über seine absurden Ideen und fragte sich, ob sie ihm erzählen würde, was passiert war. »Ich hab meinen Bruder besucht. Wir haben einen Tagesausflug nach Cambridge gemacht. Die Kapelle vom King’s College. Stechkahnfahren auf dem Cam. Das ganze Touristenprogramm.«
    Er wusste nicht, was ein Stechkahn war. Sie erklärte es ihm – ein flacher Kahn, une barque à fond plat , der mit einer Stange angetrieben wird –, während die Leute gafften. Wenn sie in der Öffentlichkeit Französisch sprach, fühlte sie sich anders, als könnte schon allein ein Wechsel von Syntax und Vokabular die kühle Engländerin in eine temperamentvolle Französin verwandeln: Marian in Marianne. Sie unterhielten sich die ganze Fahrt über, redselig, unbekümmert, im Vertrauen darauf, dass keiner im Abteil in der Lage wäre, ihr französisches Geplapper zu verstehen. Hatte er etwas Neues über ihre Abreise erfahren?
    »Von nächstem Mittwoch an kann es jederzeit losgehen, haben sie gesagt. Sobald der Mond im ersten Viertel ist. Aber bei diesem beschissenen englischen Wetter heißt das, dass die Leute Schlange stehen werden. Das ist wie bei der Londoner Rushhour im Regen, alle stehen Schlange an den Taxiständen.«
    Am Bahnhof stiegen sie in einen Bus und kamen rechtzeitig zum Abendessen in dem Haus auf der Banbury Road an. Ihre Mutter war auf Anhieb hingerissen von Benoît. Er war groß und gut aussehend und vor allen Dingen Franzose, und er schien genau zu wissen, was bei ihr gut ankam. »Jetzt wird mir klar, woher Anne-Marie ihre Schönheit hat«, sagte er zu ihr, als sie einander vorgestellt wurden.
    In ihren dankbaren Augen blitzte kurz Verwunderung auf. »Anne-Marie?«
    Benoît errötete.
    »Marianne«, sagte Marian. »Er spielt immer mit Namen herum. Manchmal nennt er mich auch Alice.«
    »Aus dem Wunderland«, fügte Benoît hinzu, und selbst das klang nach einem typisch

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