Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)
Montur aus wie das Michelin-Männchen. Sie steckte sich das Haar hoch, um den Helm aufsetzen zu können, und dann verabschiedeten sie sich. »Merde!«, sagten sie. »Merde alors!«, als müsste es ihnen Glück bringen, wenn sie das Schlimmste heraufbeschworen. Wie Schauspieler, kurz bevor sie auf die Bühne gingen: Hals- und Beinbruch!
Draußen war es nach der Wärme in der Scheune feucht und kalt. Der Wagen fuhr sie um den Flugplatz zu ihrer Maschine, die auf dem betonierten Vorfeld wartete, eine dunkle Silhouette im schwächer werdenden Licht, wie der Riesenvogel Roch, der Sindbad den Seefahrer trug. Sie gingen schwerfällig auf sie zu, behindert durch die schweren Fallschirme, wie Sindbad durch den Greis, den Scheich des Meeres, der auf seinen Schultern saß und nicht mehr herunterwollte.
Die Besatzung wartete in der Dämmerung, begrüßte sie mit Handschlag und versicherte ihnen, dass alles gut laufen würde. »Im Grunde bloß ein Routineflug«, sagte der Captain. Er sah nicht älter aus als Benoît. Ein Flieger, der an der Einstiegsleiter stand, bot seine Hilfe an. »Kommen Sie, Sir, ich helf Ihnen hoch.« Und dann: »Ach du Schande. Entschuldigung, ich hab gar nicht gesehen, dass Sie eine Lady sind, Ma’am.« Doch dann schob er sie kurzerhand hoch, als wäre sie ein Mann.
Das Innere des Rumpfes war ein schmaler Schlauch, wie der Laderaum eines Schiffes, samt Spanten und Streben und einem unbestimmbaren Geruch, der an eine Mischung aus Gummi und Metall erinnerte. Ein weiterer Flieger war bereits da und sortierte Pakete. Benoît griff nach ihrer Hand und drückte sie, als könnte sie verängstigt sein, als könnte das alles, die Aussicht, England nie wiederzusehen, ihre Eltern nie wiederzusehen, nie wieder in ihr Leben als Marian Sutro zurückzukehren, ihr Angst einjagen. Sie grinste ihn an und fragte sich, warum sie keine Furcht empfand. Was sie taten, trotzte jeder Logik, jedem gesunden Menschenverstand, und doch empfand sie nur eine geradezu rauschhafte Erregung.
Außerhalb ihres Metallkokons ertönte eine Abfolge von lauten Explosionen, und die Motoren sprangen dröhnend an. Der Lärm war ohrenbetäubend, so laut, dass das Denken schwerfiel. Vielleicht war es besser so. Mit einem Ruck setzte sich die Maschine in Bewegung.
FRANKREICH
I
Es ist der Traum. Der Traum vom Fallen, der Traum vom Fliegen, das dunkle Loch, in das sie hineinspringt oder schwebt, während sie zuschaut, wie die Welt an ihr vorbeizieht, manchmal langsam, manchmal zu schnell, um klar sehen zu können. Diesmal ist es kalt, und sie keucht vor Schreck und schreit im Schlaf auf. Diesmal ist es schnell, und die Welt kreiselt um sie herum, lässt einen Blick auf Bäume erhaschen und auf ein schiefes, verstohlen glänzendes Gewässer. Diesmal ist da das Mattschwarz der Erde und das leuchtende Schwarz des Himmels, und der Mond, der um sie herumwirbelt. Dann der Knall, mit dem der Fallschirm sich über ihr öffnet wie ein Segel, das sich jäh mit Wind füllt und das Boot zur Seite reißt, und irgendwo lacht jemand aus purer Lust und Freude. Eine erschreckende, erregende Achterbahnfahrt. Sie schwingt einen Moment lang im Wind. Vor ihr dröhnt das schwarze Ungetüm von Flugzeug weiter, speit einen zweiten Fallschirm aus, Benoîts, der Schirm öffnet sich und schwebt wie eine große weiße Qualle in der nächtlichen Flut. Und dann ist der Boden, der etwas Fernes und Theoretisches war, plötzlich da und fängt sie auf, und sie rollt über Erde und Gras und wird von der aufgeblähten Seide mitgezogen, bis sie tut, was sie in Ringway gelernt hat: Sie zieht die Steuerleinen, um die Luft herauszulassen, und der Schirm fällt zu etwas Handhabbarem zusammen, einem großen Bündel aus Seide.
Stille, die murmelnde Stille der Nacht, erfüllt von fremdartigem Geflüster. Das Flugzeug ist jetzt ein Ding in weiter Ferne, ein Kruzifix, das sich gegen den Mond dreht und sich zum Abschiedsgruß neigt, ehe das Geräusch verklingt und für immer erstirbt. Sie ist allein. Wo ist Benoît gelandet? Es ist wie das Verstreuen von Saatkörnern, einige fallen auf steinigen Boden und andere zwischen Dornen. Wo ist er?
Irgendwo, weit weg, bellt ein Hund. Nachdem sie monatelang beobachtet und umschmeichelt, gelenkt und beschwatzt, schikaniert und beschwichtigt, wie eine Lady und wie ein Schulmädchen behandelt wurde, ist sie plötzlich allein mit diesem matschigen Feld, diesem bewaldeten Berghang auf der anderen Seite des Tals, dieser kalten Luft und dem kalten Mond und
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