Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)
der parachutage ein Erfolg auf der ganzen Linie. Insgesamt zwölf Behälter. Waffen, Sprengstoff, sogar Zigaretten und Kaffee. Alle möglichen Dinge. Geschenke aus der Luft, wie bei den Cargo-Kulten auf den pazifischen Inseln, Gaben, die vom Himmel fallen.
»Morgen trefft ihr den Patron «, sagt der Kopf des Empfangskomitees. »Vorläufig bleibt ihr hier.« Er ist ein dunkler Mann mit Pomade im Haar und einem Dreitagebart. Ein Bauer, sagt er. Schweine. Jedenfalls so viele, wie die Chleuhs ihm gelassen haben. Er hat ein schmales, argwöhnisches Gesicht und wirkt bedächtig und nachdenklich, obwohl er Gaillard heißt.
»Was sind denn les Chleuhs? «, fragt sie.
Er lacht über ihre Unkenntnis. »Les Boches.«
Sie hat den Ausdruck Chleuhs vorher nie gehört. Sie weiß gar nichts. Benoît weiß immer alles, und jetzt lächelt er über ihr Unwissen, das Lächeln, das sie immer zur Weißglut bringt.
»Hast du gewusst, was Chleuhs bedeutet?«, fragt sie gereizt.
»Na klar. Eigentlich ein marokkanischer Volksstamm. Ungebildete Schwachköpfe eben.«
Sie kommt sich vor wie eine Schiffbrüchige, die an einer fremden Küste gestrandet ist und von den Eingeborenen nachsichtig belächelt wird. Die Akzente der Menschen um sie herum sind seltsam, ihre Sprechweise schwer verständlich. Dennoch sind sie Franzosen, unbestreitbar und fast lachhaft französisch, mit dem schroffen Humor der Menschen vom Lande und einer Spur Arroganz: freche Gaskogner, die atemlos zuschauen, wie sie den Overall öffnet und abstreift, als könnte sie darunter nackt sein und sich vor ihren Augen entblößen. Doch unter ihrem Overall ist sie eine junge Frau aus der Stadt, trägt einen schlichten Rock mit schicker Jacke und weißer Seidenkreppbluse, eine ganz normale städtische Garderobe, aber unpassend im Kreise dieser Arbeiter und Bauern in ihren Blaumännern.
»Meine Schuhe sind ruiniert.«
»Die kriegen wir bestimmt wieder sauber«, versichert die Bauersfrau ihr. »Aber die taugen hier sowieso nicht. Stadtschuhe.«
Sie werden genötigt zu essen. Sie ist nicht hungrig und will eigentlich nur schlafen, aber Benoît, der ihr gegenübersitzt, vertilgt eine gewaltige Mahlzeit. Leben die Menschen hier so, im besetzten Frankreich? Schinken und Schweinefleisch und Käse und Gemüse und ein kräftiger Rotwein, den sie nach dem zweiten Glas ablehnt, weil er ihr in den Kopf steigt. Und danach noch ein Törtchen mit Äpfeln und sogar – ist das die Möglichkeit? – frischer Sahne.
»Ich muss schlafen«, beteuert sie, aber vielleicht spricht sie eine andere Sprache, die keiner versteht. »Iss«, wird sie angehalten. »Iss.« Sie fühlt sich wie eine Gans, die gemästet wird, eine von den Gänsen, die der Bauer sicher draußen im Stall hat. Foie gras mitten im Krieg.
»Sagt mal«, fragen sie und beobachten die Neuankömmlinge scharf, als lauerten sie auf irgendwelche Krümel, die die beiden fallen lassen. »Wann kommt denn endlich die Invasion? Wie lange müssen wir noch warten?«
Benoît zuckt die Achseln. Alice weiß die Antwort genauso wenig wie er, aber sie möchte ihnen irgendwas geben. »Bald«, versichert sie ihnen. »Sobald alles bereit ist.«
»Wir warten schon so lange. Woran hapert es denn noch?«
Ihr Nachfragen ärgert sie. Begreifen sie denn nicht, dass es ein schwieriges Unterfangen ist, einen Krieg zu führen? Als müssten Churchill und Roosevelt nur den Befehl geben, und alles läuft wie am Schnürchen. »Wo ist der Patron? «, fragt sie, um das Thema zu wechseln.
»Er sollte eigentlich schon hier sein, aber es wurde jemand verhaftet, und er ist untergetaucht.«
»Untergetaucht?«
»In Montauban. Bei den Delacroix’.«
Wie kann er untergetaucht sein, wenn sie alle wissen, wo er ist? Sie denkt an Beaulieu, an die ständigen Ermahnungen in Sachen Sicherheit. Erzählt niemandem was, der es nicht wissen muss. Redet mit niemandem. Fangt nie ein zwangloses Gespräch an, es sei denn, es wäre verdächtig, es nicht zu tun. Zieht keine Aufmerksamkeit auf euch. Ein vorsichtiger Agent ist ein lebendiger Agent.
»Ich muss mich hinlegen«, sagt sie mit Nachdruck, schiebt das Essen beiseite, ohne sich noch drum zu scheren, ob sie die Leute damit kränkt oder nicht. »Bitte.«
Und so führt die Bauersfrau sie nach oben in ein Zimmer, während Benoît unten bei den anderen bleibt. Er soll auf dem alten Sofa neben dem Kamin schlafen. Es macht ihm nichts aus, er kann überall schlafen.
Das Zimmer oben ist eine kleine Dachkammer mit weiß
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