Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)
Weißwandreifen, so ein Schlitten, mit dem König Faruk wahrscheinlich herumkutschiert wurde, zum Flugplatz gefahren. Sie waren Privilegierte, und sie waren Ausgestoßene, wurden wie Adelige behandelt, aber von jeglichem Kontakt zu Normalbürgern ferngehalten: Ganz hinten auf dem Flugplatz war sogar extra ein besonderer Bereich für sie reserviert, eine Reihe von Farmgebäuden, zu denen normales Personal keinen Zutritt hatte. Es war bitterkalt, und die letzten Nebelfetzen trieben um die Gebäude herum, aber hoch am Himmel leuchtete verschwommen weißes Licht, und ein Hauch verwaschenes Blau brach sich allmählich Bahn. »Es sieht gut aus«, sagte irgendwer zu Beginn der Abschlussbesprechung. Derselbe RAF -Lieutenant erläuterte die Einzelheiten des Fluges, das Wetter und welche Bedingungen aller Voraussicht nach über der Absprungzone herrschten. »Natürlich wissen wir nicht mit Sicherheit, wie sich die Lage entwickelt, aber der Nebel vor Ort lichtet sich. Über der Absprungzone« – der Offizier zuckte mit den Schultern –, »wer weiß?«
Benoît beugte sich zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr. »Hast du Angst?«
»Natürlich nicht.«
Er grinste aufreizend. »Hast du doch.«
Sie wurden über den Hof in ein Holzgebäude geführt, das aussah wie eine Scheune. In einer Ecke brannte ein Ofen, der eine miefige Hitze verströmte. Miss Atkins war aus London hergekommen und begrüßte sie mit ihrem typischen schiefen Lächeln, als ob sie alles wüsste, was passieren würde, es ihnen aber nicht verraten durfte. Sie gab Marian einen Geldgürtel vollgestopft mit Franc-Scheinen – »Für Roland«, sagte sie –, und dann durchforstete sie Marians Taschen und ihre Handtasche, eine letzte Suche nach Dingen, die ihre Existenz in dieser Welt verraten könnten, wenn sie sie mit in die nächste nahm. Einen Moment lang hielt Miss Atkins den Schlüsselbund in der Hand, inspizierte die Schlüssel genau, ob an irgendeinem etwas Verräterisches zu erkennen war, vielleicht der Name eines britischen Herstellers. Sie fanden Gnade vor ihrem prüfenden Blick. »Ist alles in Ordnung, meine Liebe?«, fragte sie, und Marian erwiderte, ja, es sei alles in Ordnung, natürlich.
»Sie sehen blass aus.«
»Das kommt von dem verdammten englischen Wetter.«
Sie lächelte beruhigend. »Ich hab das hier noch für Sie«, sagte sie und reichte Marian eine Puderdose. Die Dose war golden, glänzte verschlagen im Licht der nackten Glühbirnen. »Nur ein kleines Zeichen unserer Wertschätzung.«
Marian ließ den Deckel aufspringen, und zum Vorschein kamen ein kleines Bett aus parfümiertem Puder und ein Spiegel, aus dem Anne-Marie Laroches Augen sie leicht verwirrt anblickten. Sie musste an die Grabbeigaben denken, die sie im British Museum gesehen hatte, die zerbrechlichen und unnützen Schmuckstücke, die einen Pharao ins Jenseits begleiteten. »Sehr hübsch«, sagte sie, da sie nicht wusste, wie sie reagieren sollte, wie man das bei Geschenken oft nicht wusste. »Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll.«
»Sie müssen nichts sagen. Betrachten Sie sie einfach als Dankeschön für das, was Sie hier tun.«
Wie nett. Das sagte Papa immer, wenn ihm etwas geschenkt wurde. Wie nett. Selbst wenn er das Geschenk gar nicht wollte.
»Und dann wäre da noch das hier«, fügte Atkins hinzu. Sie streckte die Hand aus. In der Handfläche lag eine kleine ovale Kapsel, die mit braunem Gummi überzogen war. Sie sah aus wie eine getrocknete Bohne. »Nur für alle Fälle.«
Die Giftpille.
»Natürlich.« Marian nahm sie entgegen und steckte sie fast entschuldigend in eine Tasche. Zyankali, hieß es. Man zerbiss sie und schluckte sie runter. In ein paar Sekunden war alles vorbei. Wenn man sie unzerbissen herunterschluckte, wanderte sie bloß durch den Verdauungstrakt und kam am anderen Ende wieder heraus. So hieß es.
Dann stiegen Marian und Benoît in ihre Fallschirmmontur, verstauten nützliche Dinge in diversen Reißverschlusstaschen und überprüften ihre persönlichen Koffer. Unter nervösem Geplänkel wurden letzte Zigaretten geraucht. Ein Flieger bückte sich, um Marian einen Knöchelschutz umzuschnallen. Sie würde in ihren Stadtschuhen springen und brauchte die Stütze bei der Landung. »Ein verstauchter Knöchel wäre nun wirklich das Letzte, was Sie gebrauchen können«, sagte er.
»Das Letzte, was ich gebrauchen kann, ist ein Fallschirm, der nicht aufgeht«, erwiderte sie, und der Flieger lachte.
Benoît war startklar, sah in seiner ganzen
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