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Die Frau, für die ich den Computer erfand

Die Frau, für die ich den Computer erfand

Titel: Die Frau, für die ich den Computer erfand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Christian Delius
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die Scheinwerferpünktchen da oben blinken, die näher kommen und über uns hinwegstreifen   … In so entspannten Momenten wie jetzt, wo ich mein Gedächtnis trainiere mit meinen eigenen Erinnerungen, da werd ich gern sentimental, das muss ich bei einer Gelegenheit wie heute zugeben. Sentimental durfte ich nicht sein mein ganzes Leben lang, aber jetzt geschieht es zuweilen, dass ich diese uralte romantische Zerrissenheit empfinde, nachts beim zarten Pfeifen der Düsen da oben zehn Kilometer über uns: Wie schön ist die Nähe, die Ruhe – wie schön wäre die Ferne, die Bewegung   … Kriegen Sie das aufs Band, diesen zarten Ton der Düsen, diesen kosmischen Ton?   … Malen kann ich das nicht, die zwei Seelen in der Brust, das Bleibenwollen und die Sehnsucht nach der unbekannten Ferne   … Dahin, wo die Flugzeuge ziehen, von Frankfurt nach Singapur oder Alaska oder weiß ich wohin. Aber Sie, von der Abteilung Wort, was meinen Sie, was könnte ein heutiger Rilke oder Byron oder Eichendorff daraus machen? Der kleine Schritt in ein Flugzeug, das Sie in wenigen Stunden weit weg befördert, tausend oder zehntausend Kilometer weit oder noch weiter? So etwas in der Art
Ich wär ja so gerne noch geblieben, aber der Wagen, der rollt
und so weiter, nur ohne Kutsche   … Ich seh schon, Sie sind kein Romantiker. Ich ja auch nicht, leider   … Sind Sie sicher?   … Na, wenn Sie meinen. Wenn Sie da Fachmann sind. Das hab ich nie gehört, dass es eine nachgemachte Romantik gegeben hat   … Eigentlich eine Frechheit, uns so zu täuschen. Das Lied wäre dann nicht viel älter als ich, nicht zu fassen   … Trotzdem, lassen wir den berühmten gelben Wagen mal weg, den haben Sie mir jetzt versaut, ich wollte auf etwas anderes hinaus. Auch bei romantischen Gefühlen dürfen Sie an das binäre System denken. Was sind denn die zwei Seelen in der Brust anderes als Null und Eins, als ein bestimmter Ja-Nein-Wert? Das Bleibenwollen als Null, die Ferne als Eins, auch die Romantik lässt sich durchrechnen nach mathematischem Kalkül   … Auch der Faust, oder sagen wir der halbe Faust. Auch Faust ließe sich programmieren, meinen Sie nicht?   … Und der Geist, der stets verneint, den hab ich doch heute in jedem Rechner. Natürlich auch den Geist, der stets bejaht, Nein und Ja gehören zusammen, davon bin ich seit fünfzig Jahren überzeugt, das sind die zwei Seelen in der Brust, oder nicht? Fausts Widersprüche, die sind doch ein Klacks für jeden Mikroprozessor   … Ich seh schon, Sie mögen jetzt keine Abschweifungen, keine kruden halbphilosophischen Spinnereien. Sie wollen haushalten mit Ihrer Phantasie. Ganz falsch übrigens, ganz falsch ist das. Sorry, Sie sind nun mal kein Erfinder, wie wir schon festgestellt haben. Immer schönbrav nach Ihrem Konzept soll es gehen, mit Ihren Fragen auf dem Notizblock, so wollen Sie mich bei der Stange halten, der Opa soll bitteschön beim Thema bleiben. Dabei bin ich beim Thema, Sie sehen ja, alles gehört zum Thema. Oder hab ich Sie doch falsch eingeschätzt, und Sie wollen auch nur hören, wie ich meine Erlebnisse und Erfahrungen mit dem Computer auf Anekdötchen herunterdimme? Das haben die Leute am liebsten, als wär ich ein Unterhaltungskünstler, ein Zauberer mit der Universal-Rechenmaschine im Koffer   …

(Das Flattern der Flügel)
     
     
     
    Gut, ich frag Sie mal was anderes: Haben Sie nie den Gedanken, dass diese Flugzeuge da oben einfach mal ins Taumeln geraten und abstürzen, gerade über Ihrem Kopf?   … Daran merke ich, wie jung Sie sind. In der Anfangsphase der Fliegerei, da sind noch viele Maschinen abgestürzt, die sind einfach runtergesackt und zu Boden gekracht. Man hat lange gebraucht, um die Gründe herauszufinden. Und wissen Sie, was es war?   … Nein, raten Sie lieber nicht wild in der Gegend herum, es tut mir weh, wenn ein Oberlaie wie Sie   … Ich sollte Sie mit solchen Fragen verschonen – damit ich mich schone. Es war das Flattern. Das Flattern der Flügel   … Ja, Sie dürfen Tragflächen dazu sagen, wenn Sie technisch versiert klingen wollen. Aber wirTechniker sagen einfach Flügel. Also, bei kritischen Geschwindigkeiten der Flugzeuge haben sich die Schwingungen der Flügel durch die Eigenfrequenz so verstärkt, dass die einfach gebrochen sind. Es hat lange gebraucht, bis man das erforscht hat, und es war ein ungeheurer Rechenaufwand, um die kritischen Frequenzen zu ermitteln und das auszugleichen, bis zu vierhundert Arbeitsstunden für jede

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