Die Frau, für die ich den Computer erfand
über das knappe Material, dann hab ichan die Todesanzeigen gedacht, die Spalten voll Todesanzeigen in der Zeitung. Oder an die Kameraden, wie sie irgendwo, weit weg von zu Hause, die Stellung halten, im Schnee, im Schlamm, viel müder als ich, hungrig, manche verletzt, und keine Hoffnung außer der, möglichst schnell nach Moskau zu kommen oder am besten nach Hause. Heute kann man sich das alles leicht ausmalen dank Film und Fernsehen und Büchern. Damals hab ich das nur gefühlt und gedacht: Nutze dein Privileg! Mensch, werde wesentlich! Mein altes Motto …
(Sind Sie mondsüchtig?)
Die Rettung, die rührt mich noch heute, wenn ich ehrlich bin, bis in diese Stunde, bis in diese Minute. Dass ich hier neben Ihnen sitze an einem lauen Sommerabend und meine Erfolge und mein Leben und Lieben vor Ihnen ausbreite, statt irgendwo vor Stalingrad oder Smolensk geblieben zu sein … Dieser Schädel, dieser Armknochen hier könnte seit fünfzig Jahren in russischer Erde liegen, entschuldigen Sie, aber man muss das ab und an mal laut sagen … Genießen Sie den Abend mit mir, junger Mann, und hoffen wir, dass Ihnen solche Schicksalsbrüche niemals zugemutet werden. Genießen Sie die stillen Wälder, die hellen Nachtwiesen und das Kegelspiel im Mondlicht, das Zwinkern der Sterne da oben … Fünfzig Jahre, wassind fünfzig Jahre? Wissen Sie, ich hab mir immer das Alter gemerkt von den Steinen, den Langen Steinen, die auf halber Höhe, weiter unten am Stoppelsberg liegen, die kennen Sie doch? Ein gefundenes Fressen für Geologen und Märchenerzähler. Ein Schatz soll da drunter versteckt sein, den kriegt man aber nur gehoben, wenn der Teufel hilft, hat jedenfalls der alte Philipp behauptet, der Vater von Rudi. Nicht sehr originell, was? … Aber das Alter … Na, Heimatkunde? … Zweihundert Millionen Jahre. Eine ganz schöne Strecke rückwärts bis zur Ursuppe … Ein brauchbarer Maßstab, finde ich, für ein bisschen Abstand … Wie komm ich drauf? … Der Mond, der alte Schweiger da oben, der kitzelt einem immer wieder die Gefühle aus der Seele, finden Sie nicht? … Sind Sie mondsüchtig? … Das hab ich auch nicht erwartet, ich hatte nur eine Sekunde lang gehofft, ich könnte von Ihnen vielleicht die Auskunft bekommen, ob man die Mondsüchtigen wirklich nicht ansprechen darf oder ob das ein Gerücht ist … Ada ist ja ziemlich bleich, vielleicht ist sie mondsüchtig, hab ich manchmal gedacht. Vielleicht kann ich deshalb bei Vollmond nicht schlafen, weil ich mir einbilde, ich muss wach bleiben, muss sie retten, aber ich darf sie nicht ansprechen, die Unnahbare, ich muss sie auffangen, wenn sie fällt … Eh ich jetzt ganz sentimental werde, lassen Sie uns noch was trinken. Ich wollte eigentlich meinem Arzt gehorchen und bei den zwei kleinen Bieren bleiben, die er mir zugestandenhat. Aber eben, als ich von unserer Flasche Riesling erzählt habe, von der bescheidenen Feier im Mai Einundvierzig, da hab ich gedacht, gönn dir mal wieder einen Riesling. Wir sind im Krieg, da muss man sich stärken, einverstanden? … In Braunschweig hätten sie mir jetzt auch noch ein Glas aufgedrängt. Also, wenn der Rudi kommt, wird eine Flasche Riesling geordert. Wenn sie keinen Mosel haben, ein Rhein-Riesling ist bestimmt im Keller … Vielleicht schwebt dann Ada vom Mond herunter so wie damals und trinkt einen mit uns … Ich muss Ihnen wirklich mal Ada Lovelace vorstellen. Ich hab das Gefühl, dass sie nicht weit weg ist heute Abend, ziemlich nah im Weltraum, im Raum, im rechnenden Raum, wo sie rechnet und rechnet, im Raum … Das hätt ich mir denken können, dass Sie mir das Wort Lebensraum unter die Nase reiben … Aber doch jetzt nicht! Bisschen mehr Sensibilität, junger Mann, wenn ich bitten darf. Lockern Sie sich! … Falls Ada plötzlich vom Himmel steigt und sich zu uns an den Tisch setzt mit ihren weiten Gewändern, dann wollen wir doch bitte nicht über so was Hässliches streiten …
(Ja und Nein, zwei Seelen in der Brust)
Die Flugzeuge, anstelle von Ada kommen die Flugzeuge … Ich mag das, am Abend, wenn es still wird in den Dörfern, wenn die Traktoren in den Garagen stehen, wenn das Vieh gefüttert ist und in Schlaffällt und die Hunde nicht mehr viel zu bellen haben, kein Auto rauscht vorbei, und Sie atmen diese ländliche Ruhe. Und dann fangen Sie mit den Ohren das leise Pfeifen eines Flugzeugs auf, dann horchen Sie, dann sehn Sie
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