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Die Frau, für die ich den Computer erfand

Die Frau, für die ich den Computer erfand

Titel: Die Frau, für die ich den Computer erfand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Christian Delius
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vorgeworfen, viel zu bescheiden zu sein. Und das stimmt ja auch, ich hab meine Erfindungen der Welt, also den Medien nicht laut genug unter die Nase gerieben. Der erste Prozessrechner, in einem Kaff im Sudetenland einmal gelaufen, was ist das schon, hab ich mir oft gesagt. Ich hatte ja nur Ada als Zeugin. Aber da schreit sofort die wachsende Schar meiner Lobredner auf: Allein dafür hättest du drei Doktorhüte verdient!   … Danke, danke   … Aber seien Sie ehrlich, halten Sie es noch aus mit mir? Der Alte hier neben Ihnen schwatzt fast ohne Pause, ist Ihnen das nicht peinlich vor den anderen Gästen?   … Sie sind ein höflicher Mensch, ein viel zu höflicher Mensch   … Was wollen Sie von mir? Ja, Sie sind neugierig auf das, was ich so vor mich hin rede. Sie saugen alles auf, Sie vertrauen diesem elektromagnetischen Speicher. Sie lesen mir meine bescheidenen Sätze von den Lippenab, so gierig sind Sie, als könnten Sie es gar nicht abwarten. Und wenn ich unbeholfen rede, dann geben Sie mir, da würd ich fast wetten, Zensuren wie ein Lehrer, ungenügend, mangelhaft, ausreichend. Dafür gucken Sie dann manchmal wieder so, als könnten Sie es nicht fassen, dass ich Ihre Bitte um ein Interview erhört habe, stimmt’s? Und nun gewähre ich Ihnen das Interview, live auf Magnetband und exklusiv. Gewähren, ist das nicht ein wunderbares Wort? Das macht mich zum König, ich gewähre Ihnen die Gnade dieses Gesprächs. Und Sie freuen sich an jedem vollgeredeten Band, das Sie nach Hause tragen können   … Geduld! Es ist ein wunderbarer Abend, ich werde gleich auf die A 4, auf die Wunder der A4 zu sprechen kommen – und wieder auf Ada. Bleiben Sie nur geduldig. Je mehr Geduld Sie haben, desto mehr werd ich erzählen, das ist versprochen   … Die Alten reden zu viel, das ist Ihr heimlicher Gedanke, geben Sie es zu. Dabei reden wir Alten viel zu wenig. Zu wenig! Ist doch das Gescheiteste, was wir tun können. Sollen wir etwa nicht jubeln, dass der Mund und die Zunge und die Stimmbänder und die Zellen neben der Großhirnrinde noch einigermaßen intakt sind? Es ist wie Gymnastik, nehmen Sie es als Gymnastik, wir brauchen das von morgens bis abends. Großhirnrindengymnastik könnte man sagen, Stimmbandgymnastik, Zungengymnastik, Lippengymnastik und so weiter. Auch mir gehen sie ja auf die Nerven, die alten Bekannten, die nie den Mund haltenkönnen. Einer redet dauernd vom Krieg und von seinen Panzern, da werd ich sofort taub, ein anderer, der hat sich auf Rhododendron spezialisiert und erzählt einem alles über Rhododendron, was man nicht wissen will. Und dann erst die Krankheitsromane! Aber ich frage Sie: Ist es nicht besser, wenn die Leute von ihren Krankheiten erzählen, als wenn sie gar nichts erzählen?   … Ich hab das Recht, ungeduldig zu sein, ich! Aber Sie, junger Mann, haben das nicht   … Gucken Sie nicht so kritisch, so ungeduldig aus der Wäsche, nur weil Sie die Prozess-Steuerung nicht würdigen können. Wenn ich schon mit Laien rede, wenn ich schon versimpeln muss, bis es mir weh tut, dann will ich wenigstens so reden, wie es mir passt   … Nichts für ungut, aber Sie, Sie sollten sich freuen, dass ich seit 18   Uhr beim vereinbarten Thema bleibe, auch wenn es nicht immer so aussieht. Wenn ich abschweife, komm ich ja durch die Hintertür viel näher ans Thema, als wenn ich beim Thema geblieben wäre, oder nicht?   … Mal im Ernst, helfen Sie mir: Wie macht man das, von seinen eigenen Leistungen sprechen und sich dabei nicht ständig beweihräuchern? Verraten Sie mir bitte das Geheimnis   … Nur keine Ausreden. Ich hab eine längere Liste mit Erfindungen vorzuweisen, und Sie, Sie brauchen ja nur eine Sache neu erfinden, eine neue Sprache für solche Zwecke. Wenigstens das erwarte ich von Ihnen: Wie redet man über Verdienste, wenn es zufällig die eigenen sind? Bescheidenheit wärefalsch, und die Pose, die Denkmalspose doch auch. Ich werd euch nicht den Bismarck spielen, den Computer-Bismarck. Sie sind ein Mann des Worts, da müssen Sie mir doch helfen. Wir Techniker haben in den letzten fünfzig, sechzig Jahren das Denken und das Rechnen revolutioniert, und ihr, ihr von der Abteilung Sprache, was habt ihr getan in der Zeit? Was in den Festsälen geredet wird, ich kann das nicht mehr anhören und will es nicht mehr anhören, alles abgegriffen, vorgekaut, hohl und glatt. Na los, was tut Ihre Zunft eigentlich dafür, dass sich die Sprache entwickelt und Schritt hält mit unserm Denken? Sie

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