Die Frau, für die ich den Computer erfand
entwickelt sich eher rückwärts, oder kommt das nur einem alten Mann so vor? Was ich höre und lese, wird irgendwie immer läppischer, infantiler, ärmer an Ausdruck und Raffinesse, oder etwa nicht? Oft hat man ja den Eindruck: Je mehr Scheinwerfer, je mehr Mikrofone, je mehr Blitzlichter, desto dümmer und dürftiger wird geredet, desto weniger Bedeutung und Inhalt steckt in den Worten, oder Temperament … Sie grübeln jetzt im Hinterkopf bitte darüber nach, und ich erwarte eine Antwort … Bis zum Sonnenaufgang … Oder zum Frühstück …
(Stoßgebete an Ada)
Also mitten hinein in die Bombennächte … Es kracht, es zischt, es knallt um einen herum, der Fußboden scheint sich zu bewegen, alles schaukelt, dasHaus wackelt, Sie denken an Erdbeben, draußen regnen die Leuchtkugeln vom Himmel oder Sie sehen Qualm, Rauch … Immer wenn ich versucht habe, noch etwas zu retten in den drei oder fünf Minuten, bevor die Flammen zuschlugen, hab ich natürlich zuerst das aktuelle Projekt im Kopf gehabt, nie das, was ich hinter mir hatte, was ich geschafft hatte. Die wichtigsten Konstruktionsunterlagen waren einigermaßen sicher … Ja, im Tresor. Aber entscheidendes, von heute aus gesehen historisch aufregendes Material, Skizzen, Ideen, sind in den Schubladen geblieben. Konnte ich denn ahnen, als es um mich herum brannte und ich über die Trümmer stolperte und nur ans Überleben dachte, dass ich eines Tages berühmt werden würde mit meinen Rechnern? Und dass sich heute die Museumsfritzen um jede Notiz von mir aus der Kriegszeit balgen? Und dass ich noch auf meine alten Tage Interviews geben würde auf irgendwelchen hessischen Bergen? Und zum hundertsten oder fünfhundertsten Mal berichten müsste von den wilden Pionierzeiten? … Richtig, nur die A4 ist den Bomben entwischt, immer wieder. Ah, der Riesling … Ja, bitte … Ja, gut … Also, zum Wohle … Auf Ada! … Sehr fein, eine milde Säure, gut. Oder ist er Ihnen nicht kalt genug? … Mir ist es lieber so, der Magen … Auf Ada! hab ich gesagt, weil ich ihr das Glück zu verdanken habe, dass die A4 mit mir überlebt hat … Glück oder eigentlich ein Wunder, wenn ich als alter Nüchternheitsfanatiker das mal sosagen darf, drei Wunder sogar, mindestens drei. Einmal, dass wir diesen Rechner überhaupt zustande gebracht haben unter den schlechtesten Arbeitsbedingungen, die man sich nur vorstellen kann. Das zweite, dass die A4 nichts abbekommen hat, keine einzige Bombe und keinen Beschuss, weder in Berlin noch auf der Flucht. Und drittens, dass sie der Grundstein für die Firma wurde … Ein Wunder, drei Wunder, und ich würde nicht gerade leugnen, dass ich Ada um die Wunder gebeten habe. Ich habe zu ihr gebetet, hab ich vorhin gesagt … Bitten und beten, auf dies Glatteis geh ich lieber nicht, das zieh ich zurück … Also, es war eher so: In meine Gedanken an Ada sind alle Hoffnungen geflossen von morgens früh bis abends spät, dass Ada als englische Lady mich vielleicht schützen könnte. Völlig irrational, aber das ist einfach unbewusst geschehen. Solche verrückten Gedanken konnte ich gar nicht kontrollieren und wollte ich auch nicht kontrollieren. Es war wie eine Schaltung, eine positive Schaltkette für meine Gefühle. Ich dachte, es schadet nicht zu hoffen, und hoffen soll man möglichst konkret. Ich hoffte, sie könne die Bomber vielleicht ein bisschen zurückhalten, Berlin ein wenig mehr verschonen lassen als andere Städte und Kreuzberg vielleicht ein wenig mehr als andere Bezirke. Ich habe an ihren mathematischen Verstand appelliert, an ihre Leidenschaft als Erfinderin und an ihre Liebe, wenn ich das so offen sagen darf. Die stand für mich völlig außer Frage … Und ichmuss noch was gestehen. Spät abends, vorm Einschlafen, wenn wir nicht gerade im Keller hockten, hab ich ihr Deutschland gezeigt, das schöne Deutschland. Wir haben jeden Abend einen anderen Ort durchgenommen oder eine andere Gegend, den Rhein, Heidelberg, Dresden, Thüringen, Regensburg. Sie sollte doch etwas haben von ihrem Leben in Deutschland, etwas Heimatkunde wenigstens, und sie sollte wissen, was ihre Landsleute in den Bombern im Visier hatten oder schon zertrümmert hatten … Wenn ich als Lehrer für Heimatkunde nicht weiterwusste, hab ich die
Blauen Bücher
aus dem Bücherschrank der Eltern gegriffen, Naumburg mit Uta, Bamberg mit dem Reiter, Königsberg mit Kant und so weiter, ich hab ihr was
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