Die Frau, für die ich den Computer erfand
Jetzt dürfen Sie übrigens, falls es Sie wieder mal nach moralischer Betrachtungsweise gelüstet, an Hiroshima und Nagasaki denken. Der ENIAC wurde gebraucht bei der Konstruktion der Atombomben, so viel zum freien Markt … Drei Jahre an der A4 basteln unter diesen Umständen mit steinzeitlichen Mitteln, mit Blechenund Relais, niemals hab ich so oft an das alte Wort denken müssen: Lernen tut weh. Die meiste Zeit geht ja sowieso drauf bei der Fehlersuche, und die wird nach jedem Angriff wegen der Erschütterungen im Haus ein besonders ausgedehntes Vergnügen. Die Bleche, ich sage nur Laubsäge, die immer wieder klemmenden und sich verhakenden Bleche. Und wenn Sie gerade denken, gleich läuft das Gerät oder dies Schaltteil im Rechenwerk wieder, was passiert dann? Alarm! Voralarm! Vollalarm! Und Sie müssen entscheiden, bleib ich jetzt bei meinem Gerät, was verboten ist, und schließe wenigstens diesen Versuch ab und kann mich freuen, wenn es endlich läuft? In den großen Fabriken wurde auch bei Vollalarm durchgearbeitet. Oder geh ich rechtzeitig in den Luftschutzkeller und fang morgen früh wieder von vorn an? Na, was hätten Sie gemacht? … Nein, antworten Sie nicht! Sie können sich in manches einfühlen, das glaub ich Ihnen gern, aber hier brauchen Sie einen speziellen Instinkt. Sie riechen, aus welcher Richtung der Angriff kommt. Sie wittern die Gefahr. Sie lernen im Dunkeln zu sehen. Wenn die Fensterscheiben splittern, wissen Sie, was zu tun ist, und wie Sie sich hinwerfen bei den gefährlichen Luftdruckwellen. Sie können Sprengbomben von Brandbomben und Phosphorbomben und Zeitbomben unterscheiden. Sie dürfen nie aus Angst handeln, sonst machen Sie was falsch. Und dieser Instinkt, der entwickelt sich nur, wenn Sie so einen Krieg einpaar Jahre mitgemacht haben. Der Krieg an der Heimatfront ist oft komplizierter als vorn im Gefecht. Da gibt es keine Patentlösung. Meistens bin ich in den Keller, aber manchmal hab ich einfach weitergearbeitet bei Alarm, mal so, mal so … Im letzten Jahr, nach dem dritten Umzug, hat die A4 sowieso im Keller gestanden, nur ein paar Schritte vom Luftschutzkeller. Kurze Wege im Bombenhagel, auch das ist eine wichtige Managementerfahrung. Die kann man heute schwer vermitteln, so wenig wie das Management-by-Rainer-Maria … Nicht dass Sie denken! Ich bin da keine Sekunde lang nostalgisch. Ich will nur, dass Sie begreifen, und vor allem die jungen Leute heute sollen begreifen, was für ein Wunder es war, dass die A4 einigermaßen ungeschoren durchgekommen ist … Nein, das weiß ich nicht, was ich getan hätte, wenn es der A4 so ergangen wäre wie den anderen Geräten. Die ersten drei, die glorreichen drei, zuerst haben sie Ende Dreiundvierzig eins aufs Dach bekommen, und im Januar Vierundvierzig hat es richtig gekracht. Ich hab es zweimal begraben gesehen unter Ziegeln und Balken, mein Lebenswerk … Gute Frage, aber man wäre damals verloren gewesen, wenn man bei allem Unglück noch viel gegrübelt und gejammert hätte. Abschiednehmen war Routine. Überleben die Parole. Gegen Ende sind die Bomben ja fast jede Nacht gefallen und oft auch am Tag. Immer mehr Leute, die man kennt, sind tot, und man geht trotzdem nicht öfter auf Beerdigungen.Die Türen hängen schief in den Angeln, Bretter vor den Fenstern, mal kein Wasser, mal kein Strom, mal kein Gas, man hat ständig zu tun, einen Happen Essen zu beschaffen. Zwischendurch immer wieder ein paar Sonnenstrahlen und die Bilanz mit entsprechender Kosten-Nutzen-Rechnung: Ich bin am Leben, mein Gerät auch. Man ist selbst am meisten erstaunt darüber, es kommt einem ganz unglaublich vor. Das Gefühl, noch da zu sein, will man lieber nicht Glück nennen, aber einen besseren Antrieb zum Arbeiten gibt es nicht. Je schlimmer alles wurde, desto mehr stieg die Nachfrage nach meinen Erfindungen. Ende Vierundvierzig häuften sich Aufträge, Vorschläge, Besuche von Wehrmacht und der Luftwaffe, viel zu spät alles. Ich hab die Anerkennung als Wehrwirtschaftsbetrieb beantragt, und sofort war das durch … Sie haben nach meinen Gefühlen bei der Zerstörung der ersten Prototypen gefragt. Nun, die alten Geräte, die waren damals schon für mich Vergangenheit. Man hatte doch keinen Museumsblick darauf wie heute, wo alles, alles in die Museen wandert. Es kommt mir ja manchmal so vor, als hätten wir mehr Museen als Zukunftsideen in Deutschland. Als wären uns die Investitionen in die Vergangenheit wichtiger als alles andere, aber
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