Die Frau, für die ich den Computer erfand
Geheimsache, hatte ich das schon gesagt? … So ist das halt, ich hab meine Geschichte nicht chronologisch geordnet mit allen Details abrufbar in den Hirnschubladen. Aber sonst tickt das Langzeitgedächtnis noch ganz gut, oder? … Schön, dass Sie zufrieden sind mit mir … Also Geheimsache, und dann V 4! Jetzt hieß es: Die V4 muss raus aus Berlin! Die Behörden waren in Panik, vor einer V4 standen sie stramm. Die Sache hatte höchste Priorität, und plötzlich geht alles schnell. Unser guter Mann schafft es, dass das Ministerium für Rüstung und Kriegsproduktion die Reichsbahn anweist, einen Güterwagen bereitzustellen für die V 4. Alles im Ton von schnellstens, dringend, kriegswichtig und so weiter. Einen Güterwagen in diesen Zeiten! Das kann sich heute keiner mehr ausmalen, was das heißt, wenn die meisten Wagen kaputt sind und der Rest für den glorreichen Rückzug der Wehrmacht im Einsatz ist. Und dann die Bescheinigungen, um Berlin zu verlassen, meine Frau, fünf Mitarbeiter, ich. Auch die hat uns dieser Teufelskerl besorgt … Also holen wir die A4 oder V4 aus dem Keller, bei Stromausfall den Lastenfahrstuhl von Hand millimeterweise hochgewuchtet, fragen Sie nicht, wiewir das geschafft haben. Ein kurzes Lebwohl von den Eltern, jeder versucht den Gedanken zu verstecken: Wer weiß, ob wir uns noch einmal sehen. Wir waren ihn satt, diesen Krieg. Von der Schwester konnte ich mich gar nicht mehr verabschieden, da kam ein Angriff dazwischen … Ich raffe noch ein paar Unterlagen zusammen, und ab geht die Post. Schneckenpost auf Schienen, genauer gesagt. Güterzüge sind bevorzugte Angriffsziele, von allen Seiten können die Tiefflieger kommen. Ständig hören wir ihre Motoren oder das Knattern ihrer Maschinengewehre. Dann heißt es anhalten, hinwerfen, in den Graben, wenn es geht, Ohren zuhalten, Mund auf, möglichst eine Decke übern Kopf. Ich denke schon kurz hinter Potsdam, es ist ein Fehler, im Keller wäre deine Maschine sicherer gewesen als auf den Gleisen und auf freiem Feld, leichte Beute. Und dann denk ich: Vielleicht ist es besser, wenn sie hier von britischen oder amerikanischen Fliegern zu Klump geschossen wird, als wenn sie den Russen in die Hände fällt und die dich sofort erschießen als Chef der Wunderwaffe V4 … So wird man Fatalist und denkt: Hör auf zu grübeln, das Schicksal oder Ada wird schon wissen, was aus dir und deiner Maschine werden soll … Meistens fuhren wir nachts, dann machten die Tiefflieger Pause, aber nachts wurden die Bahnhöfe bombardiert. Was haben wir da herumgestanden auf den Gleisen zwischen den brandenburgischen Wiesen. Es war März und eine gemeine Kälte, die einem da durchdie Knochen kroch … So ging es voran, erst mal nach Göttingen. Heute fahren Sie mit diesen neuen Zügen in drei Stunden von Berlin nach Göttingen. Was schätzen Sie, wie lange wir damals gebraucht haben? … Na, da freu ich mich aber, dass Sie nicht gesagt haben: einen Tag. Nach drei Tagen waren wir noch nicht mal in Magdeburg, noch nicht mal über die Elbe. Nein, eine Woche hat auch nicht gereicht auf dieser Strecke, die dauernd bombardiert und repariert wurde. Zwei Wochen waren es, genau zwei Wochen …
(Wann wird ein Roboter Bundeskanzler?)
Ja, mach ich … Bitte schön, auf Wiedersehen! … Die letzten Gäste, jetzt haben wir die ganze Terrasse für uns. Wie spät ist es denn? … Immer noch angenehm lau. Bin ja froh, dass die nur ein Autogramm wollten und mich nicht mit albernen Fragen überfallen haben: Welche Rechengeschwindigkeiten werden die Computer in zehn oder zwanzig Jahren erreichen? Oder ähnliches Zeug, immer soll ich den Propheten spielen. Gestern war ich im Park spazieren, und da hat mich jemand angesprochen, ein ziemlich junger Mann, so ein Streber-Informatiker-Typ, der wollte wissen: Was schätzen Sie, wann zum ersten Mal ein Roboter Bundeskanzler wird? Ich hab gelacht und einen Moment überlegt und dann gesagt: Woher wissen Sie, dass es keine Roboterin sein wird? Damit hatte ich ihn mattgesetzt, dann hat er mir ein bisschen leidgetan, hab ihn einfach reden lassen. Er wollte mir beibringen, dass wir Menschen auch nur biochemische Roboter sind und dass die Computer, die Roboter Gefühle lernen können und so fort. Das wurde dann noch ein munteres Geplauder. Der Hunger auf Science-Fiction, der irritiert mich immer wieder, die Phantasie, die Sehnsucht, sich auszutoben möglichst weit weg von der Gegenwart … Nein,
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