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Die Frau, für die ich den Computer erfand

Die Frau, für die ich den Computer erfand

Titel: Die Frau, für die ich den Computer erfand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Christian Delius
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Handwerker aus Bad Hersfeld!   … Tja. Das war die Frage: Wie weiter? Als die Russen an der Oder standen und die Amerikaner am Rhein, sah meine Bilanz so aus: Ich hatte einen halbwegs funktionierenden Rechner, drei Berufe, zwanzig Mitarbeiter. Wie weiter?   … Unter die Russen geraten wollte niemand, ich erst recht nicht. Aber die A4 verpacken und in den Westen spedieren oder in den Süden, die Zeiten waren vorbei, in denen man dafür eine Genehmigung hätte erwirken können. Es kamen praktisch nur noch Frauen mit Kindern aus Berlin raus und am Ende die hohen Nazis. Also zusehen, wie alles um einen herum in Scherben fällt? Die Scherben gehn ja noch, aber der Schutt! Sich zermalmen und überrollen lassen, wie wir damals sagten? Die schöne Maschine, drei Jahre Arbeit, oder genauer, die Arbeit meines ganzen Lebens, zu Schrott hauen lassen?   … Ja, gute Frage, das ist unser roter Faden heute Abend. Was hätte Faust getan an meiner Stelle? Mephisto, schätze ich mal, hätte im Führerbunker gesessen   … Ja, da haben Sie recht, der wäre ständig auf Achse gewesen, um seine Seelen zu ernten   … Der gute Faust, der sollte nicht im Krieg vor die Hunde gehen, sondern als alter, verdienter Unternehmer abtreten. Mephisto hatte ja noch was vor mit ihm. Er hätte es wohl hingekriegt, per Funkspruch die A4 auf den Brocken zu zaubern. Oder, wenn er ganz klug gewesenwäre, in die Rhön, in die unscheinbare Vorderrhön, in einen Stollen am Stoppelsberg, am besten getarnt hinter dem Wasserwerk hier oben. Da hätte sie keiner vermutet, und ich hätte mir einige Umwege sparen können   … Sie haben recht, Faust, ein Mensch ohne jede Managerqualitäten, wäre wieder mal überfordert gewesen. Bis zu einer solchen Katastrophe, bis 1945 hat der alte Goethe eben doch nicht gedacht   …

(Ein tüchtiger Hauptmann von Köpenick)
     
     
     
    Ich war auch überfordert, das können Sie mir glauben, ich mit der ganzen Verantwortung für die Familie, den Rechner, die Mitarbeiter. Ich sah meine alten Eltern in der zertrümmerten Wohnung, die Fenster mit Brettern vernagelt, dem Schicksal ergeben, sie standen abwechselnd Schlange an den Wasserpumpen und beim Milchmann. Und die Schwester, traurig, tränenlos traurig. Überall abgespannte, verhärmte Gesichter. Man redete kaum noch, man stöhnte: armes Deutschland! Abends wünschten wir uns nicht mehr Gute Nacht, sondern: Splitterfreie Nacht. So tief war der Humor gesunken, auf so ein dürftiges Niveau. Nach jedem Angriff Leichen auf den Straßen, die Straßen waren sowieso keine Straßen mehr. Man hörte die Verschütteten aus den Trümmern, der Brandgeruch blieb in der Nase, und die Nazis befahlen:
Vertrauen ist auch eine V-Waffe
. Selbst wenn es irgendwie zu schaffengewesen wäre, mit dem Rechner aus der Stadt zu kommen, was sollte aus meiner Frau und den Eltern werden?   … Und dann? Was passiert? Als ich gar nicht mehr weiterwusste, wurde mir ein Retter geschickt. Wieder die alte Frage: Fügung? Wunder? Schicksal? Glück? Vorsehung? Zufall? Ich sage Ada. Es kann nur Ada gewesen sein, die mir geholfen hat. Mit dem geschicktesten Mann, den man in jener Zeit kriegen konnte, ein positiver Mephisto, würde ich sagen, ein Zauberer, ein Organisationsgenie   … Der fiel vom Himmel, ein Physiker, der es mit viel List und Tücke bis in die letzten Kriegswochen geschafft hatte, nicht eingezogen zu werden, der ist bei Henschel aufgetaucht und bei uns. Der hat mir geraten: Hauen Sie ab mit Ihrem Rechner nach Westen. So schlau war ich natürlich auch schon gewesen. Aber er kannte all die Tricks, wie man mit den Behörden umspringen musste, und er hatte einige nützliche Portionen Frechheit in seinem Auftreten. In anderen Zeiten hätte er ein tüchtiger Hauptmann von Köpenick werden können. Dass man in der schlimmsten Not am besten mit Frechheit vorankommt, das hatten wir schon völlig vergessen unter dem Dauerbeschuss von Propaganda und Bomben   … Er hat gesagt: Ihre Maschine heißt V 4, das werden wir ausnutzen. Tatsächlich hatte ich in dem ganzen Kriegstrubel die Taufe des Geräts hinausgeschoben. Es war, wie gesagt, wegen der Materialknappheit nur eine Sparversion geworden. Jedenfalls hieß das Gerät aufallen unseren Papieren und unter uns immer noch V 4.   Sie wissen, V1 und V2 waren damals in aller Munde, die Vergeltungswaffen, die Wunderwaffen, die im letzten Moment die Wende bringen sollten, den Endsieg, den sogenannten. Das war die Chance! Unsere Arbeit galt ja sowieso als

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