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Die Frau, für die ich den Computer erfand

Die Frau, für die ich den Computer erfand

Titel: Die Frau, für die ich den Computer erfand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Christian Delius
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und nicht Ruinen geworden sind wie die Burg Hauneck im Dreißigjährigen Krieg, was sag ich, wie Hiroshima. Gerade hier in der Gegend war alles gespickt mit taktischen Atomwaffen und chemischen Waffen. Die Sprengkammern auf den Straßen, die sie mit Kanaldeckeln getarnt haben. Na ja, so viel zur schönen Natur, zum Bilderbuch des hessischen Berglands   …

(Das Wunder von Zürich)
     
     
     
    Also, die gute A 4, die in Berlin schon dreimal umgezogen ist, die vom Berliner Keller auf einen Lkw geladen wurde, vom Lkw in einen Güterwagen, vom Güterwagen auf einen Göttinger Lkw, vom Lkw in ein Kaiser-Wilhelm-Institut, vom Institut wieder auf einen Wehrmachts-Lkw, mit dem Lkw durch das zerbombte Land, vom Norden bis in den Süden geschaukelt, in einem bayrischen Schuppen versteckt, vom Schuppen in einen Pferdestall umquartiert, und von da in die kurhessische Poststation von Neukirchen, ja, wenn das kein Fortschritt ist, wenn das kein Aufstieg ist, diese lange Wanderung   … Jetzt verstehen Sie, warum ich Wanderlieder mag,
Hoch auf dem gelben Wagen
… Wir reinigen das Gerät und rüsten es auf, die meisten laubgesägten Bleche und die Relais aus dem Abfall der Wehrmacht tun es noch. Klammer auf, meine Damen und Herren Lehrer, ich weiß, man sagt nicht laubgesägte Bleche, aber erlauben Sie mir am späten Abend bitte ab und zu eine kleine Innovation, Klammer zu. Und dann geht die Fahrt wieder los, mit der Bahn, in die Schweiz! Nach Zürich! In den Tempel der Technik! In die berühmte Eidgenössische Technische Hochschule! Und da läuft das Gerät fünf Jahre wie geschmiert Tag und Nacht, und alle Welt bestaunt den ersten funktionstüchtigen Computer Europas   … Durchbruch, ja, klar, aber was heißt schonDurchbruch? Es war viel mehr als ein Durchbruch. Für mich war es ein   … Sehen Sie, mir fällt nicht mal ein passendes Wort ein, mir fällt dafür nur so etwas wie Wunder ein, und bei so einem Wort geniert sich natürlich ein alter Logiker. Ein Festakt, hundert Honoratioren geladen, und kurz bevor die anrücken, bockt die A 4, sprüht Funken, Leitungen schmoren. Ich werf den dunklen Anzug ab, greif zum Lötkolben, fummle die Relais zurecht, prüfe hier und da, eine halbe Stunde mit heißen Fingern, steig schwitzend in den Anzug und setz mich in die erste Reihe, ziehe den Kopf ein, bereit zur Hinrichtung, hundert Henker hinter mir – und siehe da, das Wunder. Sie läuft. Sie läuft sogar reibungslos. Und die Tage danach, ich sehe die A4 rechnen und rechnen, ich höre sie rechnen, sie rechnet nicht nur für die Mathematiker, sie erledigt die Rechenarbeit für Physiker, Ingenieure, Flugzeugbauer, Turbinenbauer, Biologen und Optiker gleich mit. Sie rechnet hundert Stunden am Stück, sechzehn Multiplikationen pro Sekunde und tippt die Ergebnisse wie eine Schreibmaschine. Ich höre sie rechnen und rechnen und habe endlich die Bestätigung, dass ich fünfzehn Jahre lang das Richtige getan habe. Das Glück und das Pech, die unendlichen Arbeitsstunden und all die Opfer sind nicht umsonst gewesen   … Denken Sie nicht, aus mir wäre nun plötzlich ein sentimentaler Knabe geworden, es war eher ein Rausch in Richtung Zukunft. Die Maschine vibriert, und ich stehdaneben und vibriere auch. Ich spüre, du lebst in einer Zeit, die solche Maschinen brauchen wird, immer schnellere, immer kleinere Maschinen dieser Art, und du hast sie geschaffen. Bald werden sogar die stolzen Schweizer Banken mit solchen Geräten rechnen, die Versicherungen, das ganze Geld wird durch Rechner fließen. Und du bist Teil dieser Zukunft, du siehst sie hier vor dir rattern und rechnen   … Da hab ich wieder mal begriffen, wie richtig es gewesen ist, das Gerät monatelang durch die Gegend zu schleppen und vor Tieffliegern und Bomben und der SS und den Alliierten zu schützen, so gut es ging. Es hatte überlebt und rechnete und rechnete alles durch und rechnete aus und rechnete rauf und runter. Es fraß vorschriftsmäßig alle Zahlen, die man ihm vorlegte, und spuckte eine Lösung nach der andern aus, und noch dazu richtig   … Jetzt fällt es mir wieder ein, weshalb ich eben auf das Wort Wunder gekommen bin, das ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Damals hat eine Schweizer Zeitung geschrieben:
Das Wunder von Zürich
, und so hab ich das auch empfunden   … Bern, Ungarn, ja, das ist sogar mir zu Ohren gekommen, aber das war erst vier Jahre später, davon haben meine Leute im Betrieb lange gesprochen. Ich war kein Fußballmensch, doch das hab

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