Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau, für die ich den Computer erfand

Die Frau, für die ich den Computer erfand

Titel: Die Frau, für die ich den Computer erfand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Christian Delius
Vom Netzwerk:
gegen jede deutsche Stadt. Aber das Paradies hat mich irritiert: Nirgends eine Ruine, keine einzige geflickte Jacke oder Hose, nicht ein amputierter Mensch auf dem Bürgersteig! Der sagenhafte Reichtum, der Luxus, das ist ja nun bekannt von der Schweiz, aber für mich war der wahre Luxus, kein zerstörtes Haus zu sehen, kein kaputtes Fenster. Nirgends auch nur der Hauch der Vernichtung oder des Provisorischen, es war fast nicht zu ertragen. Alles stabil wie seit Ewigkeiten. Hier war alles fertig, hier war nichts zu tun, kein Platz für Neues, kein Platz für Fremde, so einen Eindruck hatte ich. Aus den Geschäftsstraßen bin ich geflohen, ich kam mir überall wie der ärmste Schlucker vor. Und der Kaffee, so köstlich, aber irrsinnig teuer. Auch darum hat es mich mehr in die Bibliothek gezogen als in die Cafés, und die mathematische war ganz hervorragend. Hier hab ich es gefunden, ein englisches Buch, das ausführlich über Ada Lovelace und Babbage informierte. Und ein zweites, wo weniger drinstand, dafür hatte es Abbildungen. Ausleihen durfte ich die nicht, als ausländischer Gast bekam ich keinen Leserausweis, ich habe nur ein bisschen exzerpiert   … Zum ersten Mal hab ich Näheres über Babbages Rechenautomat erfahren, verständlich sogar für den Fachmann. Er hatte einige ähnliche Gedanken wie ich bei der A 1, ich will das jetzt nicht aufdröseln. Wir hatten in die gleiche Richtung gedacht, binäresSystem, Boole und so weiter. Das war großartig, fast wie die späte Entdeckung eines Vaters. Ich hatte einen Vorgänger, ich hatte nicht bei Null angefangen! Ich war nicht der einzige Narr nach Leibniz, der sich auf dem unendlichen Feld von Null und Eins getummelt hat. Das hat mich kein bisschen gekränkt, es hat meinen Stolz eher noch gekitzelt. Aber die Sensation, das war Ada, seine Assistentin zeitweise und tatsächlich so etwas wie Programmiererin, in der Theorie jedenfalls! Babbages Maschine hat ja nie funktioniert. Die Frau an zentraler Stelle, die Geliebte am Beginn der Computerentwicklung. Jetzt war meine Ahnung bewiesen. Es war wie ein Rausch. Ich muss zugeben, ich hatte keine Zeit damals, mich in ihre Arbeit zu vertiefen. Das war die Phase, in der ich sogar meine eigene Programmierkunst zu vergessen begann. Es reichte mir völlig, dass meine Geliebte in der binären Logik brilliert hatte   … Was mich aber am meisten erregt hat, meine ganz private Sensation, das war ihr Bild. Ein Ölbild, verkleinert auf das Buchformat, schwarz-weiß. Ihre Züge deutlich – und einfach schön. Ein vornehmes, edles, waches Gesicht, dunkles Haar, große Augen, weites Dekolleté. Und genau so, wie sie da abgebildet war, hatte ich sie immer vor mir gesehen! Ich saß in diesem Schweizer Lesesaal und konnte es nicht fassen: Sie sah wirklich so aus wie das Bild, das ich von ihr im Kopf hatte! Das war das zweite Wunder von Zürich! Ich war verwirrt und, wenn ich das mal ganz privat vor demöffentlichen Tonband sagen darf, ich war glücklich   … Die Hellseherei hat mich immer fasziniert, und hier fand ich fast einen Beweis: Ich hatte Ada gesehen, bevor ich sie gesehen hatte   … Nein, ich will da nicht herumspekulieren, warum und wieso. Es ist so, es war so, ein Faktum, Punkt. Und es war praktisch. Ich brauchte mein Bild nicht zu korrigieren. Es stimmte, was ich im Kopf hatte. Ihr Kleid hab ich mir blau gefärbt und aus dem schweren Gewand ein leichtes Sommerkleid gemacht, schon war sie fertig, die Schönheit der Mathematik, die Geliebte   … Nein, ich brauchte keine Kopie ihres Abbilds aus dem Buch, ich hatte nicht mal den Wunsch, es standen sowieso noch keine Kopiermaschinen auf den Fluren herum   … Stimmt, ich höre bis heute nicht auf zu staunen. Was würden Sie denn sagen, wenn Sie zehn, zwölf Jahre ein phantasiertes, nur von einem Lexikon angeregtes Bild einer Lady mit sich herumtragen, und dann entspricht das genau der Realität?   … Ja, nach und nach hab ich mehr über sie herausgefunden, ihre Arbeit, ihr Leben   … Da werden Sie wach! Da werden Sie wieder neugierig, wenn es um die heimliche Liebschaft geht   …

(Zieht uns hinan)
     
     
     
    Ich weiß noch, wie ich am frühen Abend nach dieser Entdeckung, nein, Wiederentdeckung, auf dem Lindenhof stand. Kennen Sie Zürich, wissen Sie, wodieser Lindenhof ist?   … Auf der Bahnhofseite, eine Erhebung, ein steiler Hügel mitten in der Altstadt, hoch über der Limmat. Da muss früher mal eine Festung gewesen sein, so sieht die Anlage aus, viele

Weitere Kostenlose Bücher