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Die Frau im Fahrstuhl

Die Frau im Fahrstuhl

Titel: Die Frau im Fahrstuhl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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nicht lange unversorgt blieb. Sie rief umgehend einen Krankenwagen, und Britta wurde ins Krankenhaus gebracht.
    Obwohl sie munter und guter Dinge war, verheilten die Brüche nicht wie vorgesehen. Daraufhin wurde sie ins Vasa verlegt, wo wir versuchen sollten, sie wieder auf die Beine zu bringen. Bei uns diagnostizierten die Ärzte dann Brustkrebs. Leider hatte er bereits Metastasen gebildet, und es war zu spät, um eine Behandlung zu beginnen. Im Übrigen wollte Britta auch gar keine Behandlung. Es sei besser, eines natürlichen Todes zu sterben, meinte sie, als man ihr eventuelle Behandlungsmöglichkeiten unterbreitete.
    Eines späten Abends Ende Januar brachte ich ihr den kleinen roten Plastikbecher mit ihrer Nachtmedizin. Ein schwacher Duft nach 4711 strömte mir in der Tür entgegen. Heutzutage verwenden nicht mehr viele Frauen dieses Parfüm, aber damals war das noch anders, besonders bei älteren Leuten. Ich werde diesen Duft immer mit Britta verbinden.
    Ich tastete mich im Dunkeln vor, denn sie hatte das Lämpchen über dem Bett nicht angeknipst.
    »Machen Sie kein Licht. Im Dunkeln kann man besser nachdenken. Ich liege hier und denke nach«, ertönte Brittas Stimme.
    »Ach, Sie sind wach«, sagte ich.
    »Nein, ich rede im Schlaf«, erwiderte Britta kichernd.
    Ich stimmte in ihr Lachen ein.
    »Ich würde Sie gern um etwas bitten«, meinte sie dann.
    Ihre Stimme klang plötzlich ernst.
    »Wenn man so alt ist wie ich, dann hat man seine Tage gelebt. Alle, die ich im Leben geliebt habe, sind nicht mehr. Und die, die übrig sind, sind zu krank oder zu verwirrt, als dass man einen vernünftigen Umgang mit ihnen pflegen könnte. Das ist alles nicht mehr lustig. Man vereinsamt so. Alles ist nur noch langweilig, und man wartet auf den Tod.«
    Ich wollte schon protestieren, aber sie wiegelte ab.
    »Der Tod macht mir keine Angst. Er ist etwas Natürliches, denn ich habe das Meinige getan, jetzt sehe ich ihn auch als einen Befreier von den Schmerzen. Ich gehe, um meinem Schöpfer entgegenzutreten.«
    Das sagte sie im Brustton der Überzeugung. Ich wusste nicht, was ich entgegnen sollte. Noch nie hatte ein Patient so offen und unsentimental über den Tod mit mir gesprochen. Ich war damals ja noch jung und unerfahren. Deswegen schwieg ich.
    »Die Tatsache, dass ich jetzt bald meinem Erlöser gegenüberstehen werde, hat mich nachdenklich gemacht. Sie finden sicher, dass ich etwas seltsam oder durcheinander daherrede, aber … ich möchte meinem Herrn nicht ohne Hose gegenübertreten.«
    »Ohne Hosen?«, wiederholte ich vollkommen ratlos.
    »Ich meine Unterhosen. Ich möchte Sie bitten, mir nach meinem Ableben eine Unterhose anzuziehen. Und zwar das Krankenhausmodell, denn die sind vernünftig. Ich will vor Gott nicht mit nacktem Hintern stehen!«
    Es war ein sonderbares Ansinnen, aber ich mochte die alte Dame und versprach, ihr diesen letzten Wunsch zu erfüllen.
    In diesem Jahr erreichte die Grippeepidemie unser Krankenhaus in den ersten Februarwochen. Sowohl Patienten als auch Personal erkrankten. An diesem Freitagabend fehlten eine Pflegehelferin und ein Pfleger. Ich musste einspringen, alle Katheter spülen und Verbände wechseln und überdies noch meinen üblichen Aufgaben nachkommen. Mehrere Patienten waren an der Grippe erkrankt und brauchten mehr Pflege. Es war wirklich die Hölle los.
    Plötzlich trat eine Pflegehelferin ins Zimmer, während ich gerade einen hässlichen Dekubitus am Bein frisch verband. Da ich einen Schutzkittel, Mundschutz und Handschuhe trug und die Wunde gerade freigelegt hatte, war ihr klar, dass ich nicht einfach alles stehen und liegen lassen und auf den Korridor kommen konnte. Mit ernster Miene trat sie auf mich zu und flüsterte mir ins Ohr: »Britta in der Zwei ist gestorben.«
    Das kam nicht unerwartet. Es war ihr in den letzten Tagen schlecht gegangen. Trotzdem gab mir dieser Bescheid einen Stich ins Herz. Ich sammelte mich jedoch rasch und fragte: »Hast du den Diensthabenden verständigt?«
    »Ja. Er war bereits bei ihr.«
    »Ist noch jemand bei ihr?«
    »Ja. Maggan. Ich geh ihr jetzt helfen.«
    »Gut. Ich komme dann auch«, sagte ich.
    Nachdem ich mit dem Verband fertig war, ging ich in Brittas Zimmer. Es sah so aus, als schliefe sie friedlich. Die Pflegehelferin hatte ihr das Kinn hochgebunden und ihre Hände auf der Bettdecke gefaltet.
    »Sie kann eine Weile so liegen bleiben. Dann waschen wir sie und richten sie her. Verständigst du die Angehörigen?«, fragte Maggan.
    Ich konnte

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