Die Frau im Fahrstuhl
mehr daran erinnern, worüber wir uns unterhielten. Aber ich weiß noch, dass es zwischendurch immer wieder lange Gesprächspausen gab. Fast konnte man spüren, wie die Luft vor Spannung vibrierte.
Viertel vor zwölf kamen die beiden anderen Schwestern ins Schwesternzimmer. Sie begrüßten Gun und mich und wirkten recht verbissen. Wir begannen mit dem Kaffeetrinken und versuchten so zu tun, als ob nichts wäre.
Als beide Zeiger der Wanduhr auf zwölf vorrückten, erstarrten die Nachtschwestern. Sie schauten auf den Eingang der Station, der vom Schwesternzimmer aus gut einzusehen war. Soweit ich das durch die Glastür beurteilen konnte, war das Treppenhaus menschenleer.
Deutlich hörten wir, wie irgendwo lautstark eine Tür aufgerissen wurde. In der Türöffnung raschelte es. Aber es war nichts zu sehen. Obwohl wir die passenden Geräusche hörten, wurde die Tür nicht geöffnet, und niemand trat über die Schwelle.
Da sprang Gun Andersson von ihrem Stuhl auf. Erstaunlich behände stand die mollige Person auf dem Korridor. Ohne groß darüber nachzudenken, folgte ich ihr.
Wir näherten uns der Tür zum Spülraum bis auf wenige Meter, dann blieben wir stehen. Auch wenn wir gewollt hätten, wären wir nicht weiter gekommen. Die Luft um uns herum schien aus stillstehenden Eiskristallen zu bestehen. Wir konnten nicht atmen, und Arme und Beine waren wie Blei.
Wir hörten, wie die Tür zum Spülraum quietschend geöffnet wurde. Dann knallte sie zu. Aber das sahen wir nicht, wir hörten es nur. Langsam verschwand die Kälte um uns herum. Auf zitternden Beinen begaben wir uns in Sicherheit ins Schwesternzimmer. Hinter uns hörten wir, wie rostfreie Gefäße gegeneinander schlugen. Wasser lief, und Bürsten rotierten auf Metall. Es lärmte gewaltig, während nach allen Regeln der Kunst gespült wurde.
Dass sich wirklich Fredrika im Spülraum zu schaffen machte, davon waren Gun und ich inzwischen überzeugt. Wer sonst hätte es sein sollen?
Eine Stunde später hörten wir, wie die Tür vom Spülraum geöffnet wurde. Auf dem Korridor raschelte es erneut. Dann wurde die Tür zur Station geöffnet und wieder geschlossen. Nach wie vor war nichts zu sehen, nur Geräusche waren zu vernehmen.
»Zeigt sie sich nie?«, fragte Gun. Ihre Stimme zitterte.
»Gelegentlich schon. Dann wird sie als silbriger Schatten wahrnehmbar. Meist sind aber nur Geräusche zu hören.«
Stina erhob sich und ging auf den Korridor.
»Kommt«, sagte sie.
Zögernd folgten wir ihr in den Spülraum. Sie öffnete die Tür und gab uns ein Zeichen hineinzuschauen.
Alles sah noch genauso aus wie vorher.
»Wir sind uns also einig, dass wir ein … Problem haben«, sagte Tore Benzen.
Es war wieder dieselbe Runde, die das »Problem« besprechen sollte, wie der Oberarzt den Spuk beharrlich nannte. Gun und ich hatten darauf bestanden, dass es sich wirklich um eine übernatürliche Erscheinung handeln müsse. Um ein Gespenst. Benzen hatte uns nicht widersprochen.
Jetzt räusperte er sich und fragte: »Was sollen wir tun?«
Gun Andersson nahm all ihren Mut zusammen und vertrat energisch den Standpunkt der Gewerkschaft. Die Station müsse sofort geschlossen werden. Sie könne erst wieder in Betrieb genommen werden, wenn der Spuk vorbei sei.
»Wie?«, fragte Tore Benzen.
Er hatte seinen ganzen Sarkasmus in dieses kleine Wort gelegt. Gun zog unter seinem höhnischen Blick den Kopf ein und murmelte etwas von Teufelsaustreibern. Daraufhin kam der Arzt erst richtig in Fahrt.
»Teufelsaustreiber! Wie würde das aussehen! Abstruse Leute, die in den Korridoren herumstreichen und irgendwelche Beschwörungen murmeln!«
Wir sahen alle ein, dass diese Möglichkeit ausgeschlossen war. Das galt auch für den Vorschlag, den Nachtschwestern einen Bonus zu zahlen. Darüber ließ sich nicht einmal verhandeln.
Die Zeit verging, und die Besprechung führte zu nichts. Kurz vor dem Ende teilte Benzen mit: »Im Übrigen schließen wir im Juni sämtliche Stationen. Die Feuerwehr hat sämtliche Türen im Krankenhaus für nicht mehr den Normen entsprechend erklärt. Holztüren sind nicht mehr erlaubt. Sie müssen durch Stahltüren ersetzt werden. Bei dieser Gelegenheit werden auch die Röntgenabteilung und die Chirurgie saniert. Wo nötig, soll auch gestrichen werden. Deswegen müssen alle im Juni ihren Urlaub nehmen.«
Dies schien ebenfalls keine Verhandlungsmasse zu sein.
Der Krisenstab trat noch ein weiteres Mal zusammen, ehe im Juni geschlossen wurde. Auch diese
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