Die Frau im Fahrstuhl
große Unterhose an. Sie war so mager, dass sie fast in ihnen verschwand. Als wir ihr Nachthemd wieder gerade gezupft hatten und sie wieder ordentlich dalag, sah sie schön und friedlich aus. Aus einem Reflex heraus tätschelte ich ihre kalte Wange.
Als ich wieder nach Hause radelte, schien die Dunkelheit merkwürdigerweise nicht mehr gar so bedrohlich. Ich ging sofort ins Bett. Kurz vor dem Einschlafen spürte ich, wie mir jemand ganz sachte über die Wange streichelte. Als ich die Augen aufschlug, sah ich ganz deutlich Brittas Gesicht vor mir. Sie lächelte und sah gesund und fröhlich aus. Eine Sekunde später war ihr Bild verschwunden. Im Zimmer hing jedoch der schwache Duft von 4711.
Jenseits von Cyberspace
Oven hatte sich wirklich auf die Pensionierung gefreut. Im Herbst wollte er mit Anna in den Süden reisen und dann im Sommerhalbjahr mit dem Auto durch Schweden fahren. Neue Interessen hatten sie sich ebenfalls zulegen wollen. Anna wollte Aquarellmalerei betreiben und Sven mit der Ahnenforschung beginnen. Endlich würden sie Zeit für sich, das Haus und den Garten haben.
Nichts kam so, wie sie es geplant hatten.
Ein Jahr vor Svens Pensionierung starb Anna rasch und unerwartet.
Glücklicherweise hatte er noch seine Arbeit bei einem Bauunternehmen. Dort traf er seine Kollegen und konnte seine düsteren Gedanken für einige Stunden vergessen. Wenn er abends zu seinem stillen und dunklen Haus zurückkehrte, stand die Einsamkeit hinter der Tür und erwartete ihn.
Die Einsamkeit war das Schlimmste. Anna und er hatten keine Kinder. Ihre Eltern waren tot, und mit den wenigen Verwandten hatten sie auch keinen Umgang gepflegt. Natürlich besaßen sie einige Bekannte, aber keine engeren Freunde. Anna war die kontaktfreudigere von den beiden gewesen. Ihm hatte es gefallen, am Wochenende friedlich zu Hause zu sitzen. Die Arbeit als Polier hatte ihn all seine Zeit und Kraft gekostet.
Und jetzt hatte der letzte Rest von Geselligkeit auch noch ein Ende. Er war mit Anna aus seinem Leben verschwunden.
Die Pensionierung war dann die Hölle. Ein Essen in einem vornehmen Restaurant und ein Geschenk – eine Schale aus Kristallglas –, dazu eine Ansprache. Er hatte sich ziemlich betrunken. Soweit er sich erinnern konnte, war dies das letzte Mal gewesen, dass er gelacht hatte.
Am Tag darauf war er verkatert gewesen. Die Leere drohte ihn zu ersticken. Das Telefon war verstummt. Er hatte aufgehört zu existieren.
Er brauchte fast ein Jahr, um seine Depression zu überwinden. Er hatte sich gezwungen, einen Kurs in Genealogie zu besuchen. Er wunderte sich, wie sehr ihn dieses Thema fesselte. Langsam begann er, sich auf den Unterricht am Dienstagvormittag zu freuen. Neben den Methoden der Ahnenforschung lernte man auch, mit einem Computer umzugehen. Er surfte gern im Internet und nahm so Kontakt mit anderen Leuten auf, die sich ebenfalls für Ahnenforschung begeisterten. Inspiriert von seinen neuen Kenntnissen kaufte er sich einen PC und legte sich einen Internetanschluss zu. Er benutzte den Computer zwar nicht oft, aber ab und zu machte es ihm Spaß, online zu gehen.
Der Unterricht endete immer mit einem gemeinsamen Kaffeetrinken. Mit der Zeit hatte er einige der anderen Teilnehmer näher kennen gelernt. Ein paar waren in der Tat richtig nett.
Bei einer dieser geselligen Runden teilte ein Kurskamerad freudestrahlend mit, seine Frau und er hätten eine Wohnung in Fridendamm bekommen. Dies war das begehrteste Viertel der Stadt, gepflegt und ruhig und dabei äußerst zentral.
Die niedrigen Mietshäuser grenzten an einen wunderschönen Park mit einem Teich, dem Fridendamm.
Sven hatte schon oft erwogen, sein Haus gegen eine Wohnung in Fridendamm einzutauschen. Vorsichtig fragte er, an wen man sich wenden müsse, wenn man eine Wohnung in dieser Gegend suche. Sein Kurskamerad lachte und sagte: »Wir haben acht Jahre auf unsere Wohnung gewartet! Man kann sich von der Wohnungsbaugesellschaft auf eine Liste setzen lassen. Dann gilt es, sich in Geduld zu fassen. Die Mieten sind dort noch recht erschwinglich.«
Acht Jahre Wartezeit. Sven wäre fast fünfundsiebzig, wenn er eventuell an die Reihe kam.
Erst schlug er sich die Sache aus dem Kopf. Er hatte fünfunddreißig Jahre in seinem Haus gewohnt und konnte genauso gut dort wohnen bleiben. Umziehen war lästig und außerdem teuer.
Mit Macht redete er sich ein, wie klug es sei, nicht umzuziehen. Gleichzeitig wurde ihm eins immer deutlicher: Der Garten machte zu viel
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