Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau im Fahrstuhl

Die Frau im Fahrstuhl

Titel: Die Frau im Fahrstuhl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
Vom Netzwerk:
Eingang von einer großen Zementmischmaschine versperrt. Das ganze Gebäude war eingerüstet und mit Plastikplanen verhüllt. Auf meinem Zimmer angelangt, spürte ich förmlich, wie das ganze Haus wackelte, so eifrig waren die Bauarbeiter am Werk. Sich erst einmal hinzulegen und ein Nickerchen zu halten, war undenkbar. Außerdem wollte ich mich ja eigentlich in das Getümmel der Großstadt werfen, um mich inspirieren zu lassen und wieder zu Kräften zukommen. Aber zuvor hängte ich noch ordentlich meine Kleider in den Schrank.
    Die freundliche junge Dame an der Rezeption lieh mir einen Hotelschirm. Mein hellroter Wollmantel war zwar warm, würde die Feuchtigkeit jedoch aufsaugen wie ein Schwamm. Sollte ich vorübergehend verwirrt sein und nicht zum Hotel zurückfinden, so war auch das kein Problem. Der Name des Hotels stand in limonengrünen Buchstaben auf dem orangen Schirm geschrieben. Als ich aus dem Hotelfoyer trat und den Schirm aufspannte, sah ich in der Glasscheibe neben der Tür mein Spiegelbild. In die Jahre gekommener Alt-Hippie, war mein erster Gedanke. Aber es war nicht zu ändern. Es goss in Strömen. Ich hatte keine Wahl.
    Mit quietschenden Bremsen hielt ein Taxi vor dem Eingang. Es hielt mitten in der größten Pfütze, die man sich vorstellen kann. Kein Regenschirm auf der Welt konnte mich vor der Welle schützen, die nun über meine Schuhe und Hosenbeine schwappte.
    »Schwachkopf!«, rief ich erbost.
    Das Taxi rollte noch ein paar Meter weiter, damit die Fahrgäste nicht durch die Pfütze waten mussten. Die beiden hinteren Türen wurden geöffnet, und wer stieg aus? Mein Exmann mit seiner neuen Frau!
    Vermutlich waren wir alle drei gleichermaßen verblüfft. Ich hatte ihn nicht mehr gesehen, seit die Scheidung vor zwei Jahren rechtskräftig geworden war, und ihr war ich nur einmal ganz flüchtig begegnet. Da unsere Söhne erwachsen sind und bereits von zu Hause ausgezogen waren, war die Scheidung recht unkompliziert. Ich kann zwar nicht behaupten, dass wir uns als dicke Freunde getrennt hätten, aber wir waren auch keine erbitterten Feinde. Er hatte mich ihretwegen verlassen. Zumindest war sie der Auslöser. Sie arbeitete bei seiner Bank und war zehn Jahre jünger als ich. Vermutlich hat mich das am meisten gekränkt, dass er mich für eine Jüngere verlassen hat. Ehrlich gesagt, hat er mir nicht besonders gefehlt. In den letzten Jahren war er immer langweiliger und träger geworden. Ich hatte mich oft darüber geärgert, dass es ihm so wichtig zu sein schien, dem Bild eines Bankers zu entsprechen: ordentlich gescheitelt, öder grauer Anzug, überkorrekt. Immer öfter ertappte ich mich dabei, dass ich mich in unserer Zweisamkeit einsam und isoliert fühlte. Mit größter Wahrscheinlichkeit hätten wir uns auch scheiden lassen, wenn diese Blondine nicht in seiner Bank aufgetaucht wäre.
    In unserem Reihenhaus war es dann ziemlich einsam geworden. Aber mir hat Alleinsein noch nie etwas ausgemacht. Das ist eine der Voraussetzungen für meinen Beruf. Außerdem besitze ich einige wirklich gute Freunde.
    Jetzt fiel mir auf, wie ähnlich sich die beiden waren. Das blondierte Haar trug sie streng zurückgekämmt in einem Knoten. Als sie mich erblickte, presste sie ihre schmalen, sorgfältig geschminkten Lippen zusammen. Sie trug einen glänzenden Pelzmantel und teure Lederstiefel, die sich schlecht für Regenwetter zu eignen schienen.
    »Du hier?«, sagte mein Ex wenig begeistert.
    »Wie du siehst«, erwiderte ich munter.
    Wie dumm ich gewesen war! Schließlich war er ein extremer Gewohnheitsmensch. Es lag auf der Hand, dass er in der Vorweihnachtszeit mit ihr nach Kopenhagen fahren würde, und natürlich war er zu faul, sich ein neues Hotel zu suchen! Und ich war kein bisschen besser. Von den Hunderten Hotels in Kopenhagen hatte ich natürlich das ausgesucht, in dem er mit größter Wahrscheinlichkeit ebenfalls wohnen würde. Ich hätte mich ohrfeigen können. Währenddessen überlegte ich mir krampfhaft, was ich als Nächstes sagen sollte. Glücklicherweise ließ mich meine Fantasie nicht im Stich.
    »Es gab kein anderes Zimmer. Alles war ausgebucht«, meinte ich unbekümmert.
    Er sah mich misstrauisch an, während er die Koffer auslud.
    »Ach so. Und was hast du für Pläne?«, fragte er säuerlich.
    Das geht dich nichts an, hätte ich fast geantwortet, aber jetzt war meine Fantasie so richtig in Schwung gekommen.
    »Ich treffe jemanden, und zwar nicht irgendwen.«
    Dabei lächelte ich so strahlend wie

Weitere Kostenlose Bücher