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Die Frau im Fahrstuhl

Die Frau im Fahrstuhl

Titel: Die Frau im Fahrstuhl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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mir zwar nicht sicher, ob ihr wirklich etwas im Hals stecken blieb, aber so sah es zumindest aus. Nach ihrer Miene zu urteilen eine Zitrone.
    Wieder ein Riesenpatzer! Natürlich führte er sie in dieses Restaurant aus! Wir waren jedes Mal zum Mittagessen hergekommen. Um zu mir selbst zu finden, muss ich mich von allen alten Gewohnheiten befreien, dachte ich.
    Vielleicht war diese Einsicht der Anfang von allem, was dann geschah.
    Ich zahlte und stand auf. Da ich gezwungen war, an ihrem Tisch vorbeizugehen, um nach draußen zu kommen, blieb ich kurz stehen.
    »Hallo! Da seid ihr ja wieder. Hier ist das Mittagessen wirklich immer Spitzenklasse. Ich muss weiter. Tschüs!«, sagte ich fröhlich.
    Ehe sie noch etwas entgegnen konnten, war ich schon vorbei und auf dem Weg in den Platzregen. Er war richtiggehend befreiend.
    Hinter meinem Rücken hörte ich eine fast hysterische Frauenstimme: »Sie verfolgt uns! Sie will…«
    Ich erfuhr nie, was sie mir unterstellte. Es interessierte mich auch nicht.
    Nach zwei Stunden im vorweihnachtlichen Gedränge im Magasin du Nord war ich müde und hatte Durst. Es war regelrecht angenehm, sich wieder den Wind um die Ohren blasen zu lassen. Der Regen hatte nachgelassen. Ohne den Regenschirm aufzuspannen, ging ich über den Kongens Nytorv zu meiner Lieblingsbar am Nyhavn, als mir dämmerte, was ich gerade vorhatte. Unsere Lieblingsbar! Ich blieb wie angewurzelt stehen und kehrte dann um. Es galt, mit allen alten Gewohnheiten zu brechen!
    Da fiel mein Blick auf Hviids Weinstube. Seit dem 18. Jahrhundert lag sie an derselben Straßenecke. Mein Ex hatte da nie reingewollt, weil er Zigarettenrauch nicht vertrug. Der ideale Ort also, um ihm aus dem Weg zu gehen!
    Energisch stieß ich die Tür auf und schaute in das belebte Lokal. Es war sehr gut besucht, und der Zigarettenqualm lag beruhigend dicht. Das Ambiente überzeugte mich sofort, und ich beschloss, einen freien Platz zu suchen. Das würde nicht leicht werden, denn das Lokal war wirklich knallvoll. Wer keinen Platz gefunden hatte, drängte sich um den Tresen, und diejenigen, denen es gelungen war, einen der Bistrostühle zu ergattern, saßen dicht an dicht um die kleinen Tische herum. Ich merkte, dass die Weinstube auch noch aus mehreren kleineren Räumen hinten bestand, alles im Halbdunkel, mit niedriger Decke und einem ziemlich hohen Lärmpegel.
    Langsam und geduldig schob ich mich immer weiter nach innen. Ganz hinten im hintersten Zimmer entdeckte ich schließlich einen freien Tisch. Er war rund und erstaunlich klein. Höchstens zwei Personen fanden an ihm Platz. Mit einem erleichterten Seufzer ließ ich mich auf den wackligen Stuhl sinken und stellte meine Tüten auf die mit einem abwaschbaren Stoff bezogene Bank, die die Wand entlanglief. Die ganze Zeit schauten Leute auf der Suche nach einem Sitzplatz in meine Ecke. Aber da sie immer mindestens zu zweit waren, setzte sich niemand zu mir. Ein Kellner mit einer langen schwarzen Schürze, weißem Hemd und schwarzer Fliege kam an meinen Tisch und erkundigte sich nach meinen Wünschen.
    »Ein Carlsberg Hof und einen Gammeldansk«, antwortete ich.
    Obwohl viel Betrieb war, schenkte er mir ein rasches Lächeln. Seine hellblauen Augen schimmerten plötzlich warm. Errötend erwiderte ich sein Lächeln. Ich war es überhaupt nicht mehr gewöhnt, dass Männer mich attraktiv fanden. Oder war mir das in den letzten Jahren nur einfach nicht mehr aufgefallen? Der Kellner war in meinem Alter und trug sein grau meliertes Haar recht lang. Es fiel ihm in einer widerspenstigen Welle in die Stirn. Während er sich durch die Menschenmassen einen Weg zur Bar bahnte, fiel mir auf, wie geschickt er sich bewegte. Vielleicht ist er früher Tänzer gewesen, dachte ich.
    Plötzlich fiel mir auf, dass sich jemand zu mir an den Tisch gesetzt hatte. Ein Mann hatte auf der Bank Platz genommen. Ich war so damit beschäftigt gewesen, dem attraktiven Kellner hinterher zu starren, dass ich gar nicht bemerkt hatte, wie er sich gesetzt hatte. In seiner Ecke war es recht dunkel, aber mir fiel auf, dass er schon älter war, sicher über siebzig. Seine Hände, die auf der Tischplatte lagen, waren fleckig. Die harte Arbeit eines langen Lebens war ihnen anzusehen. Dünnes weißes Haar schaute unter der Schirmmütze hervor, die er sich tief in die Stirn gezogen hatte. Sein Gesicht war kaum zu erkennen. Auf seine Augen fiel kein Licht, und sein Mund verschwand hinter einem gestutzten weißen Bart. Obwohl es in der Weinstube

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