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Die Frau im Fahrstuhl

Die Frau im Fahrstuhl

Titel: Die Frau im Fahrstuhl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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sein Blick auf das Fahrtziel.
    »Du meine Güte! Sollten Sie mich zur Notaufnahme fahren?«
    »Ja. Aber das scheint ja nicht nötig zu sein. Sie wirken durchaus so, als würden Sie den Weg dorthin mühelos alleine schaffen.«
    »Genau. Wie Sie sehen, muss es sich um einen Irrtum handeln«, sagte Sven und zwang sich zu einem Lächeln.
    »Klar. Aber so etwas Merkwürdiges ist mir noch nie vorgekommen. Ein bestellter Krankentransport, der überhaupt nicht nötig ist. Wirklich merkwürdig. Rufen Sie halt an, falls es Ihnen plötzlich schlechter geht«, meinte der in der Tür grinsend.
    »Tu ich, falls das nötig sein sollte. Vielen Dank«, erwiderte Sven.
    Er schloss die Tür und hörte, wie die Sanitäter die Treppe hinuntergingen.
    Um auf andere Gedanken zu kommen, setzte er sich an den Computer, um zu surfen. Das beruhigte seine Nerven. Er hatte jemanden in Seattle aufgetan, der möglicherweise der Sohn eines Cousins seines Vaters war. Er war also möglicherweise ein Cousin zweiten Grades, Geschwisterkinder, so hatte das Anna immer genannt, weil es in Vårmland, wo sie herkam, so hieß. Eine Weile lang vergaß er alle Ungereimtheiten, die Wartelisten betrafen.
    Plötzlich machte der Computer kling, und ein hellgrau unterlegtes Fenster tauchte auf. Erstaunt las er:
     
    »Sven! Du hättest den Krankenwagen nicht wegschicken sollen! A.«
     
    A.? So hatte sie immer ihre Mitteilungen an ihn unterschrieben. Was war da los? Er konnte den Gedanken nicht zu Ende denken, denn ein wahnsinniger Schmerz strahlte in seinen linken Arm und pflanzte sich über den Hals in den Unterkiefer fort. Er konnte nicht einmal schreien. Sein Herz pochte wie wild, und es tat so weh, so weh! Es gelang ihm noch, vom Stuhl aufzustehen, dann brach er zusammen. Noch ehe er auf dem Boden aufkam, hatte sein Herz aufgehört zu schlagen.
    Das hellgraue Fenster verschwand vom Monitor. Der Computer seufzte tief. Aber das hörte niemand mehr.

Das Wasser der Liebe
    Es war von Anfang an eine lächerliche Idee gewesen. Wie hatte ich mir nur einbilden können, dass mir ein Ausflug nach Kopenhagen mitten im Dezember gut tun würde? Eines unserer Weihnachtsrituale. Wohlgemerkt: Unserer. Aber nun fuhr ich alleine los. Eine geschiedene Autorin mittleren Alters zwischen zwei Büchern.
    In der verzweifelten Hoffnung, meine Lust am Schreiben zu neuem Leben zu erwecken, hatte ich mich zu einem verlängerten Wochenende im weihnachtlich geschmückten Kopenhagen entschlossen. Das hatten mein Exmann und ich die letzten zehn Jahre unserer Ehe immer so gemacht. Wir hatten dort Weihnachtsgeschenke gekauft, waren schön essen gegangen und durch die Straßen flaniert und hatten uns die Weihnachtsdekoration in den Schaufenstern und das allgemeine Gewimmel angesehen. Gelegentlich hatten wir ein Museum oder eine Kunstausstellung besucht. Wir waren wirklich auf unsere Kosten gekommen. Das vorweihnachtliche Kopenhagen war der perfekte Ort, um sich zu entspannen und wieder zu Kräften zu kommen. Deswegen hatte ich ein Zimmer in dem Hotel reserviert, in dem wir immer gewohnt hatten, und mir eine Fahrkarte gekauft.
    Ich musste mich innerlich auf mein nächstes Buch vorbereiten. Ich musste es nach Weihnachten in Angriff nehmen, denn der Verlag wollte, dass ich es spätestens Ende des Frühjahrs abgab. In einem Anfall von Übermut hatte ich außerdem einer Frauenzeitschrift für den nächsten Sommer eine Fortsetzungsgeschichte versprochen. Mein Metier sind Frauen- und Liebesromane. »Kioskliteratur und Groschenromane«, sagte mein alter Schwedischlehrer auf dem Gymnasium immer dazu und schnaubte so verächtlich, dass sein Schnurrbart zitterte. Meine Bücher verkaufen sich so gut, dass ich davon leben kann, aber angesehene Literaturpreise und Stipendien habe ich mit ihnen nicht gewonnen. Mir blieb nie eine andere Wahl, als weiterzuschreiben, um über die Runden zu kommen. Bisher ging es meist gut, aber das letzte Buch erwies sich als eine zähe Angelegenheit. Es widerstrebt einem, romantische Verwicklungen zu beschreiben und diese dezent mit Sex anzureichern, wenn das eigene Leben weder mit dem einen noch dem anderen aufwarten kann.
    Es regnete, als ich noch etwas verschlafen in Göteborg in den Zug stieg, und es regnete immer noch, als ich in Kopenhagen auf dem Hauptbahnhof eintraf. An diesem Freitagvormittag war sehr viel Verkehr. Der eiskalte Regen war sicher mit ein Grund dafür, dass es mir erst nach einer Viertelstunde gelang, ein Taxi zu ergattern. Als ich am Hotel ankam, war der

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