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Die Frau im gepunkteten Kleid

Die Frau im gepunkteten Kleid

Titel: Die Frau im gepunkteten Kleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beryl Bainbridge
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und einem Bademantel mit gestickten Initialen auf der Brusttasche.
    Als Rose gegessen hatte, folgte sie seinem Beispiel. Die Glühbirne an der Waschraumdecke war defekt, und an den Betonwänden klebten tote Insekten. Sie wusch sich am ganzen Körper, dann hastete sie in Nachthemd und Regenmantel zurück. Harold hatte Besuch, einen Mann, der aufgeregt auf ihn einredete. Es war schwierig, dem Gespräch zu folgen, denn der Mann hustete ständig und spuckte Schleim aus. Harold nickte viel und sagte wenig, bis auf die Zwischenbemerkung, dass die Zeit die Dinge in die richtige Perspektive rücke. Was für ein Quatsch, dachte Rose. Der Mann hatte keine Zähne und an der Schläfe einen Klecks geronnenes Blut. Bevor er davontorkelte, versuchte er, Harold die Hand zu küssen. Harold zuckte zurück, als berühre er einen Leprakranken.
    »Du warst gemein«, protestierte Rose. »Hast du nicht gemerkt, dass er leidet?«
    »Wer leidet nicht?«, blaffte er.
    Als sie nachfragte, berichtete er, der arme Kerl sei deprimiert und knapp bei Kasse. Aber er habe ihm kein Geld gegeben, er hätte es nur versoffen. Rose
fand das knickerig, wo er doch so reich war, dass er nicht einmal arbeiten musste. Sie wusste das von George Shaefer, die ihr, darauf angesprochen, erzählt hatte, Harold sei keineswegs Psychologe, wie sie geglaubt habe. Er interessiere sich aus naheliegenden Gründen dafür, aber sein Geld verdiene er an der Börse.
    Sie blieben bis Mitternacht am Feuer sitzen, betrachteten einander durch die Funkenkaskaden, die das brennende Holz ausspie, und lauschten dem jähen, wütenden Gebell der Hunde und dem zeitweilig aussetzenden Trommeln der Zikaden.
    Sie hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen, weil sie im dunklen Campingbus neben ihm liegen musste. Er schlief mit dem Rücken zu ihr, und als sie sich einmal umdrehte und ihr Körper den seinen berührte, zog er sich sofort zurück.
     
    Am nächsten Morgen ging Harold im nahen See schwimmen. Er wollte, dass sie mitkam, aber sie sagte, sie könne nicht schwimmen. Sie merkte an seinem Gesichtsausdruck, dass er ihr nicht glaubte. Sie erzählte, wie man sie in den Teich auf dem Schulhof geschubst hatte, aber er ging mittendrin weg. Als er außer Sichtweite war, kletterte sie in den Bus und durchsuchte die Pappschachtel unter dem Fahrersitz. Die Pistole berührte sie nicht, sah sie nur an.
    Als Harold zurückkam, zog er Shorts an. Sie waren ziemlich lang und weit, doch als er sich ans
Lenkrad setzte, sah sie die Sommersprossen auf seinen Knien.
    Nach zwei Stunden kamen sie in eine ländliche Gegend mit pflaumenfarbenen Bergen, die sich endlos unter dem Himmel hinzogen. Manchmal war die Straße aus dem Fels gehauen, der in der Sonne ein metallisches Blau versprühte. In einer Kurve vor einem Haus ohne Dach hätten sie beinahe eine große Henne überfahren, die Harold als Wildtruthuhn identifizierte. Das Tier hatte keine Angst, es stand nur da und kollerte empört.
    An diesem Abend schlugen sie ihr Lager am Rand eines Eichenwaldes auf. Diesmal gab es ein richtiges Café, und Harold, zu müde und ausgedörrt, um sich noch lang mit einem Feuer abzugeben, bestand darauf, dort zu essen. Rose machte Ausflüchte, behauptete, sie sei nicht hungrig, aber er beachtete sie nicht. Er packte sie am Ellbogen und schob sie durch die Tür. Irgendwann im Lauf des Tages hatte er sie gefragt, ob sie etwas kaufen wolle, und sie hatte gesagt, sie brauche Briefmarken für ihre in London gekauften Postkarten. Als sie ihm Geld gab, nahm er es nicht an. Das war ihr unangenehm, sie wollte nicht auf seine Kosten leben, nicht wenn sie ihm keine Gegenleistung anbot.
    Während sie auf das Essen warteten, zog sie eine der Postkarten aus der Handtasche, ein Porträt von Königin Elizabeth und ihrer Schwester Margaret als Kinder. Beide hatten das Haar zu Locken aufgedreht.
Sie hatte die Karte ausgesucht, weil sie sie an den Tag erinnerte, als sie ihrer Mutter getrotzt und sich rundweg geweigert hatte, bei Mrs Formby im Dorf eine Dauerwelle machen zu lassen. Seit sie fünf Jahre alt war, versuchte Mutter, aus ihr eine Shirley Temple zu machen. Nie wieder, hatte sie geschrien, werde sie sich unter diese heißen, qualmenden Blechröhren setzen, die ihr das Haar zu Würstchen versengten. Wenn es regnete, roch sie komisch. Die Mädchen in der Schule sagten, sie stinke, als habe man sie aus einem Scheiterhaufen gezogen.
    Harold fragte, ob sie einen Stift habe. Sie sagte, ja, danke, und nahm sich viel Zeit für Pollys und

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