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Die Frau im gepunkteten Kleid

Die Frau im gepunkteten Kleid

Titel: Die Frau im gepunkteten Kleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beryl Bainbridge
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auf dem anderen denselben Mann Arm in Arm mit einer vollbusigen Frau. »Als du ihn kennengelernt hast, sah er natürlich älter aus«, sagte er und schoss eine Wolke Mückenspray in die Luft. Dann verlor er sich in Erinnerungen an seinen ersten Eindruck von Wheeler, sein von Sarkasmus gerahmtes Lächeln, die Art, wie er sich räusperte, die Geschichten über seine Kindheit in Oregon. Hatte er ihr erzählt, dass sein Vater Senatsmitglied gewesen war und zuvor ein
Saufkumpan von Ezra Pound, einem Dichter, der verrückt geworden ist? Pound hatte ihm eine Armbanduhr mit einem Band aus Krokodilleder geschenkt.
    »Von Mr Pound habe ich nie gehört«, sagte sie und gab ihm die Fotos zurück. »Und Dr. Wheelers Haar habe ich nie gesehen … Er trug immer einen Trilby.«
    »Hast du ihn nie als Geheimniskrämer empfunden, als einen Menschen, an den man nicht gerade leicht herankommt?«
    »Nein«, sagte sie. »Er war unkomplizierter als alle, die ich je kennengelernt habe.«
    Er gab nicht auf. »Hast du in ihm einen Ersatzvater gesehen?«, fragte er.
    »Nie!«, rief sie.
    Hinter Washington Harolds Kopf ging die Sonne unter und schminkte den Horizont rosa. Von irgendwo hinter den Bäumen kam melancholisches Gitarrengeklimper. Tränengekitzelt sah Rose Vaters Gesicht vor sich, die vergilbenden Wangenknochen, die farblosen Lippen, die Schläfe mit der nie richtig verheilten Wunde von dem Stoß gegen den eisernen Kaminsims, als er sich gebückt hatte, um das Feuer zu schüren.
    Als sie an jenem Abend vom Strand zurückkam, saß er im Dunkeln und hörte sich das Samstagshörspiel an. Das blaue Seidenkissen hatte er auf dem Boden unters Fenster gezwängt, für den Fall eines Sabotageakts gegen sein Radio, das oben auf dem schmalen Brett balancierte. Zwischen der Hauswand
und dem Nachbarzaun war eine Antenne gespannt, und Mutter vergaß immer wieder, wozu der Draht diente, und hängte den Fußabstreifer darüber, wenn sie die Spülküche putzte. Dann fiel das Radio vom Fensterbrett, und Vater tobte und wütete und holte das Klebeband heraus. Rose drängte sich an seinem Sessel vorbei Richtung Diele, als er gespielt überrascht rief: Du liebe Zeit! Wenn das nicht die Treue Nymphe ist! Sie erwiderte ziemlich kühl: Kann schon sein … man weiß ja nie, wer alles reinschneit, und drehte am Türknauf. Da richtete er sich auf und sagte: Wart mal, ich muss dich was fragen. Sie lehnte sich an die Tür und vermied es, ihn anzusehen; er trug sein Home-Guard-Barett. Ich habe überlegt, Rose, sagte er, was ich dir zum Geburtstag schenken soll. Wünschst du dir irgendwas? Sie sagte, eigentlich nicht, aber das war gelogen. Sie hätte gern eine Uhr mit einem Krokodillederarmband gehabt.
    Harold sagte: »Wheeler war begeistert von Paris. Er meinte sogar, dass wir eines Tages zusammen dorthin fahren würden. Er hat ein Jahr lang in einem Zimmer in der Rue Jacob gewohnt. Hat er dir jemals von Paris erzählt?«
    Deine Mutter, sagte Vater und räusperte sich, als hätte das Wort eine Reizung erzeugt, hat etwas von einem Bettelarmband gesagt. Das war letztes Jahr, sagte Rose. Über Bettelarmbänder bin ich hinaus. Gut, dann denk nach, sagte er. Gedemütigt beugte er sich vor und kickte die Kohlen in die Flamme.

    »Er war groß darin, die Fantasie zu beflügeln«, sagte Harold. »Aber nicht gut darin, etwas durchzuziehen. Alles hohles Getöse, keine echte Schlagkraft.«
    Der Knall eines Gewehrschusses verfolgte sie bis in die Diele, dann kam ein dünner Schrei. Irgendjemand starb immer im Samstagshörspiel und nie eines natürlichen Todes. Rose war gar nicht erst in Mutters Zimmer gegangen, um ihr Gute Nacht zu sagen. Sie war bestimmt noch nicht zurück. Sie saß im Bahnhof und las im Wartesaal vor dem Kamin ihr Bibliotheksbuch. Sie ging jeden Abend dorthin, so lange, bis Vater sich wieder normal benahm.
    Rose ging vor Washington Harold zu Bett. Von den Bäumen im Hintergrund kam Gebell. Bernard und Polly hatten einen Boxer, und als sie einschlief, sprang er hoch und leckte ihr die Hand.
    Irgendwann merkte sie im Dunkeln, dass Harold ihr auf den Rücken klopfte; tief drinnen wusste sie, dass er sie nicht zu wecken versuchte, sondern nur ihren Herzschlag nachahmte, um sie zu beruhigen.

5
    Sie fuhren einen leeren Highway dahin, einige Meilen hinter Poughkeepsie, als Harold plötzlich auffiel, dass irgendetwas klapperte. Nicht heftig, eher so wie Würfel im Becher. Er konnte das Geräusch nicht orten und stupste Rose an, ob sie es auch höre. Sie saß

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