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Die Frau im gepunkteten Kleid

Die Frau im gepunkteten Kleid

Titel: Die Frau im gepunkteten Kleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beryl Bainbridge
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wie immer zusammengesackt auf ihrem Sitz, die Augen hinter der Sonnenbrille verborgen.
    »Was soll ich hören?«, fragte sie.
    »Etwas klappert … oder rattert.«
    »Ich hab nicht hingehört … ich hab versucht, mich an ein Gedicht zu erinnern.«
    Er bremste, stieg aus und schaute unter die Motorhaube. Er sah nichts außer einer dünnen Dampfspirale, aber er verstand auch nicht viel von Motoren.
    Kaum fuhr er weiter, begann das Geklapper von Neuem. »Hörst du es jetzt?«, fragte er.
    »Nein«, sagte Rose. »Es ist wahrscheinlich ein innerer Defekt … in dir, meine ich. Vielleicht ist dir eine Fliege ins Ohr geflogen. Mir ist das mal passiert, aber da war es eine Wespe.«

    Wenn er vermeiden wollte, dass er ihr eine knallte, musste er sich vor Augen halten, dass er es mit einer Schwachsinnigen zu tun hatte. Die Sonne stand jetzt im Zenit, und kein Lüftchen kühlte sein Gesicht. Der Schweiß rann ihm über die Stirn. Als er am Horizont undeutlich ein paar Bäume sah, beschleunigte er, aber daraufhin wurde auch das Geklapper lauter. Eine halbe Stunde später hielt er im Schatten eines Waldes an.
    »Und vor ihm flattern flaggengleich Flamingos rot wie Blut«, intonierte Rose, als sie nach ihm ausstieg.
    Er öffnete die Heckklappe und kletterte in den Wagen, um die Ladung zu kontrollieren. Alles schien gut gesichert. Außer Atem legte er sich auf den Bauch, das Kinn auf die verschränkten Arme gestützt, und sah zu, wie Rose zu einer Föhre schlenderte, eine Zigarette zwischen den Fingern, das Haar feucht im Nacken klebend. Schließlich sagte er: »Du musst doch etwas gehört haben! Gib’s zu!« Wie immer, wenn er sich behaupten wollte, klang seine Stimme klagend.
    »Ja«, antwortete sie. »Aber Lieferwagen klappern immer. Außerdem hättest du dich nur aufgeregt.«
    Nicht mehr lang, dachte er, dann würde er ihr zeigen, was wirkliche Aufregung bedeutete. Kurz darauf musste er in der Hitze eingeschlafen sein. Als er aufwachte, war es fast dunkel, aber das kam daher, dass das Moskitonetz auf ihm lag, als Schutz gegen die Sonne. Sehr fürsorglich von Rose.

    Sie fuhren gerade durch das Dorf Rhinebeck, als sie ihm plötzlich zurief, er solle anhalten. Harold dachte, sie habe die viktorianischen Häuser bemerkt, aber sie sagte, sie habe eine Kirche gesehen und ihr sei nach Beten zumute. Gedankenverloren sah er ihr nach, als sie auf dem Bürgersteig zurücklief.
    Am Abend zuvor hatte er bemerkt, dass sie beim Radiohören immer mit den Fingern auf den Knien trommelte, und sie erklärte, sie habe ganz gut Klavier gespielt, aber dann habe die Mutter angefangen, ihr bei falschen Tönen mit dem Löffel auf die Knöchel zu schlagen. Das sei eine ziemlich dämliche Methode, die Liebe zur Musik zu fördern, meinte er, doch sie erwiderte, Klavierstunden seien eben teuer, außerdem spiele sie ohnehin lieber Ukulele. Er kam nicht dahinter, wie sie zu ihrer Mutter stand – oder überhaupt zu anderen Menschen. Später tischte sie ihm eine wirre Geschichte auf, dass sie einmal eine ganze Woche nicht in die Schule gegangen sei und als Entschuldigung ihrer Lehrerin Miss Albright erzählt habe, in ihrer Familie sei etwas Tragisches passiert, ihre Mutter habe Selbstmord begangen. »O Gott«, rief er, der Insektenstich auf seiner Wange flammte auf, und sein Herz setzte einen Schlag aus. Als sie seinen Gesichtsausdruck sah, sagte sie, ihre Mutter habe sich nichts angetan; sie habe nur geflunkert, weil Miss Albright gerade ihren Liebsten in der Schlacht um England verloren habe. »Man musste sie doch mit irgendwas ablenken«, sagte sie.

    Er wollte Rose nahelegen, sich einen Psychiater zu suchen, aber der Wein hatte ihn konfus gemacht. Als er ins Bett ging, versuchte er sie zu wecken, indem er ihr auf den Rücken klopfte. Er hätte sich auf sie gelegt, mehr aus Trotz als aus Verlangen, aber das Knacken des brennenden Holzes störte ihn. Es wäre unvernünftig gewesen, das Feuer unbeaufsichtigt zu lassen.
    Als Rose aus der Kirche zurückkam, fragte er dümmlich, ob sie fromm sei, und sie blaffte zurück, schon möglich, in der richtigen Umgebung. Er verstand nicht, was sie meinte, bis sie etwas von fehlenden Kerzen und Heiligenfiguren stöhnte. Er wollte sie schon darauf hinweisen, dass solcher Plunder nichts mit Glauben zu tun habe, besann sich aber eines Besseren.
    Am Ortsrand von Corinth brachte er den Campingbus zum Stehen, blieb aber schweigend sitzen und schlug nur mit der Faust gegen das Lenkrad. Er war als Kind schon einmal in

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