Die Frau im gepunkteten Kleid
Tranchiermesser aus der Küchenschublade und trat in den Wald hinaus. Er untersuchte den Campingbus, der auf einer Lichtung
hinter dem Haus geparkt war, und ärgerte sich über die Vogelkleckse auf der Motorhaube. Kelmanns und Mirabellas Wagen waren unberührt.
Der Busch über Dollies Grab hatte sich völlig unkontrolliert nach oben geschraubt. Zitronengelbe Blumen drängten sich zwischen die verwelkten und welkenden Blüten; die spitzen Dornen ritzten ihm die Haut an den Armen auf.
Nach etwa einer Stunde streckte er sich außer Atem auf dem farblosen Gras aus. Sosehr er sich auch bemühte, er konnte Dollies Gesicht nicht mehr sehen. Einen Monat, bevor sie ihn wegen Wheeler verließ, hatte sie einmal gesagt, die Zeit werde dafür sorgen, dass er sie vergesse, sie werde verblassen wie Farbe. »Farbe kann ein Leben lang halten«, hatte er geschrien. Er werde aufhören, an sie zu denken, beharrte sie, denn er sei der schuldlose Teil; sie, die Verräterin, werde ihn nie vergessen. Er fand das ein fadenscheiniges Argument.
»Da bist du ja«, brummte eine Stimme, und Gerhardt Kelmann ließ sich neben ihn fallen. »Sag, wenn ich störe, dann verschwinde ich.«
Er kannte Kelmann nicht gut, aber er wusste, dass er noch Schlimmeres erlitten hatte als er selbst. Für ein Kind war die Konfrontation mit einem plötzlichen Tod bestimmt noch entsetzlicher als für einen Erwachsenen. Mit elf Jahren hatte Kelmann seinen Vater, einen Dachdecker, mit eingeschlagenem Schädel hingestreckt auf einem Fußweg in Richtung der
Bahnstrecke nach Long Island gefunden. Niemand war angeklagt worden, niemand bestraft, aber das war die Person, die für Dollies Ende verantwortlich war, auch nicht. Noch nicht.
»Das Schlimmste«, sagte er, setzte sich auf und trat nach der Erde rings um das Grab, »ist die Erkenntnis, dass die Zeit das meiste auslöscht.«
»Das muss so sein«, sagte Kelmann, »sonst würden wir verrückt.«
Die Sonne war jetzt sehr stark, sie schoss feurige Pfeile zwischen das filigrane Laub. Kelmann zündete sich eine Zigarette an. Er stieß den Rauch aus und sagte: »Sie ist ein komisches Mädchen.«
Harold nickte. Er wusste, wen er meinte.
»Sie spricht nur von ihrer Schulzeit.«
»Ja«, sagte er, »stimmt.«
»Weißt du, warum?«
»Ist nicht mein Bier.«
Beide schwiegen. Harold rubbelte mit dem Daumen über den geschwollenen Stich auf seiner Wange. Er ärgerte ihn nicht mehr, war schon ein Teil von ihm geworden.
Kelmann sagte: »Sie hat mir erzählt, dass ihr beide nach Fred Wheeler sucht.«
»Sie sucht, ich bin nur der Chauffeur«, erwiderte er. Er kniete sich hin und steckte das Messer in die Erde, die sein Liebesgespenst barg; der Metallgriff zitterte und blitzte silbern. »Ich muss allein sein«, sagte er zu Kelmann und schritt Richtung See.
Als er eine Stunde später ins Haus zurückkehrte, kümmerte er sich um seine zerkratzten Arme. Mit einem Handtuch aus dem Badezimmer wischte er das Blut ab. Als er ins Wohnzimmer hinüberging, war Mirabella allein. Sie sagte, Gerhardt und Rose seien ins Dorf spaziert und sähen sich indianisches Kunsthandwerk an; seine Freundin sei hinter Skalps her, unter anderem auch hinter dem von Gerhardt. Ob ihm nicht aufgefallen sei, wie sie sich an ihn kuschle?
»Sie ist nicht meine Freundin«, protestierte er. »Und Rose ist nicht interessiert an Männern, nur an Wheeler. Sie lebt in der Vergangenheit.«
»Wer tut das nicht?«, klagte Mirabella, und schwarze Tränen tropften aus ihren Kajalaugen. Sie war unfähig, sich stillzuhalten, stakste ruhelos durchs Zimmer, fingerte an den Verzierungen am Kaminsims herum, glättete die Tischdecke, schaltete das Radio ein und aus.
»Setzt dich um Gottes willen hin«, brüllte er. Sie ließ sich aufs Sofa fallen, drückte das Gesicht in ein Samtkissen, und ihre Schultern bebten vom Schluchzen.
Sofort kauerte er sich neben sie und tätschelte ihr den Kopf. »Du hast immer gewusst, dass es nicht funktionieren wird«, besänftigte er sie. »Kelmann ist nicht der Typ, der sich mit nur einer Frau begnügt … hast du selbst gesagt.«
»Wissen und Hoffen ist zweierlei«, entgegnete sie mit erstickter Stimme. »Gerade du müsstest das verstehen.«
»In meinem Fall liegt die Hoffnung schon lang unter der Erde.«
Sie setzte sich auf und wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht. »Ich bin nur müde«, murmelte sie und ließ zu, dass er sie in die Arme nahm.
Sie saßen immer noch so, ihr Kopf an seiner Brust und sein Mund in ihrem
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