Die Frau im gepunkteten Kleid
Haar, als Rose und Kelmann zurückkamen. Rose hatte einen Strauß Goldruten im Arm. »Die sind für Sie«, sagte sie und hielt sie Mirabella hin.
»Das sind Wildblumen«, sagte Harold, »die sind in einer Stunde verwelkt.« Er ließ Mirabella los, stand auf und deutete an, Kelmann solle seinen Platz einnehmen. Kelmann grinste und blieb stehen.
»Wir haben einen Mann kennengelernt«, plapperte Rose, »ein direkter Nachfahre eines Indianers namens Little Bush Fire. Er hat eine große Nase, bisschen so wie meine. Er sagte, es würde ihn nicht wundern, wenn wir von denselben Vorfahren abstammten.« Sie umklammerte noch immer ihren Goldrutenstrauß, lief zum Kamin, stellte sich auf die Zehenspitzen und musterte in dem darüberhängenden Spiegel ihr Gesicht.
»Heute ist ein besonderer Tag«, sagte Kelmann zu Mirabella. »Zum Gedenken an einen Vorfall vor zweihundert Jahren.«
»Aha«, antwortete sie. »Ist mir so was von egal.«
»Da kam ein britischer Oberst hierher und hat mit einem Indianerhäuptling Freundschaft geschlossen.«
»Hochinteressant«, sagte sie, und ihre Stimme troff von Hohn. Sie sah ihn an wie etwas, das unter einem Stein hervorgekrochen war.
»Nachdem ein bisschen wertloser Kram den Besitzer gewechselt hatte, sagte der Häuptling, es sei in Ordnung, die Siedler dürften loslegen. Er versprach sogar, Holz für Hütten zu liefern.«
»Das war doch nett, oder?«, sagte Rose.
»Das Pech war nur«, fuhr Kelmann fort, »dass diese sogenannten Siedler in Wirklichkeit die wahnsinnigen Insassen englischer Gefängnisse waren … also Verrückte und Verbrecher.«
Mirabella weinte wieder, das Kissen vor den Mund gedrückt.
»Man muss auch Verständnis haben«, sagte Rose. Sie wandte sich zu Kelmann um und fuhr mit einem Finger den Umriss ihrer Nase nach. »Wahrscheinlich waren sie wegen ihrer schrecklichen Kindheit ganz durcheinander.«
»Teufel noch mal!«, donnerte er. »Die kamen hierher, haben die Eingeborenen abgeschlachtet und dann mit dem Bergbau ein Vermögen verdient!«
Rose starrte ihn erschrocken an. Dann ging sie zur offenen Tür und blieb mit hochgezogenen Schultern stehen. Harold folgte ihr.
»Alles in Ordnung«, flüsterte sie. »Wirklich.«
»Um dich mach ich mir keine Sorgen«, zischte er, stieß sie die Stufen hinunter und ging mit großen Schritten unter die Bäume.
In einiger Entfernung vom Friedhof stellte er sie zur Rede. Sie hätte nicht mit Kelmann weggehen dürfen. Ob sie nicht kapiere, dass Mirabella mit ihm reden wolle?
»Aber Mirabella hat doch selbst gesagt, wir sollen gehen«, widersprach Rose.
»Hast du nicht gemerkt, wie sehr sie das verletzt hat?«
»Sie weint nicht wegen ihm«, rief sie. »Der ist ihr piepegal.«
Er starrte sie an. Sie fegte sich mit den Blättern der Wildblumen über die Wange, und zum ersten Mal nahm er ihre Augenfarbe wahr.
Sie sagte: »Ich weiß nicht, was mit ihr los ist, aber irgendwas ist vor langer Zeit passiert. Wie war sie denn früher?«
»Darüber will ich nicht reden«, sagte er. »Ich habe anderes im Kopf.«
In diesem Moment fragte sie ihn, warum er ihr nicht von seiner Frau erzählt habe. Das sei seine Privatangelegenheit, beharrte er. Es verblüffte ihn, wie sie das Gespräch von sich abgelenkt hatte. Er sagte: »Deine Augen … die sind ja grün.«
Sie lächelte. »Du hast mich noch nie angesehen«, sagte sie, »jedenfalls nicht richtig. Deshalb schnauzt du mich ständig an. Amerikaner sagen nie die Wahrheit … Ich meine damit nicht, dass du lügst, sondern dass du es einfacher findest, Dinge zu verheimlichen. Wo ich herkomme, spricht man alles aus.«
Er zeigte ihr Dollies Grab. Sie sagte nicht viel, nur dass die Rosen malträtiert aussähen. Dann gestand sie, sie mache sich Sorgen, ob sie noch bis zu dem Ort kämen, wo sich Dr. Wheeler aufhalte. Sie müsse ziemlich bald nach England zurück, sonst würde sie ihren Job verlieren.
Als sie wieder zum Haus kamen, war Kelmann fort. Mirabella drückte sich ein Handtuch an die Lippen. Es war dasselbe, das Harold für seine zerkratzten Arme benutzt hatte. Sie sagte, Kelmann habe sie geschlagen, bevor er wegging. Sie war ganz ruhig, und obwohl sie rote Wangen hatte, schien ihr Mund nicht geschwollen.
Sie küsste Rose zum Abschied und bedauerte, dass sie fortmusste. Als Rose und Harold von dem schmalen Sträßchen auf den Highway rumpelten, näherte sich Kelmanns Wagen aus der Gegenrichtung.
»Harold, halt…«, rief Rose, aber er bremste nicht. Er hatte genug eigene
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