Die Frau im gepunkteten Kleid
erhalten.«
Mit einer Gabel schob Mirabella die restlichen Salatblätter in eine Papiertüte; einer ihrer Finger
war mit Heftpflaster verklebt. »Was sollte er hier?«, fragte sie. »Er ist auf Wahlkampftour für Kennedy irgendwo in Oregon.«
»Aber der ist tot«, sagte Rose.
Mirabella lachte leise. »Nicht der«, korrigierte sie. »Sein Bruder.«
Es war Abend, als Harold erwachte. Er kratzte sich am Bart wie ein Mann, der von irgendwelchem Krabbelgetier befallen ist, und sagte, er müsse spazieren gehen. Als Rose fragte, ob sie mitkommen dürfe, lehnte er rundweg ab. »Du gehst nicht raus«, befahl er.
»Der Rosenstrauch wird dir gefallen«, sagte Mirabella. »Er klettert bis in den Himmel.«
Sie gab ihm eine Taschenlampe, falls es dunkel wurde. Bevor er ging, entschuldigte er sich dafür, dass er sie mit Rose allein ließ. »Du musst sie im Haus halten«, sagte er. Sie antwortete, er solle sich keine Sorgen machen, sie habe schon verstanden. Rose fand beide unverschämt.
Als er fort war, fragte Mirabella, wo sie und Harold sich kennengelernt hätten. Ihrem funkelnden Blick nach glaubte sie wohl, dass sie mehr als nur Freunde waren.
»Bei Bekannten von mir … Polly und Bernard … vor ungefähr einem Jahr. Bernard macht häufig Geschäfte mit Amerikanern. Ich glaube nicht, dass Harold mich versteht, nicht so richtig … wir sind nicht auf derselben Wellenlänge … aber er war sehr nett und hat mein Flugticket bezahlt. Ich selbst
habe nicht viel Geld, und es ist ein Glück, dass er Dr. Wheeler genauso dringend finden möchte wie ich. Sie kennen sich schon lange.«
»Das kann man wohl sagen«, erwiderte Mirabella. Sie ging zum Herd, machte sich dort zu schaffen und fingerte an einem Glas Kaffee herum. Sie lächelte leise, wie jemand, dem gerade ein Witz eingefallen ist.
»Ich war noch ein Kind, als ich Dr. Wheeler kennengelernt habe«, sagte Rose. »Er hat sich für mich interessiert.«
»Das ist ungewöhnlich«, sagte Mirabella. »Fred konnte Kinder nicht ausstehen.«
»Er hat immer gesagt, wenn ich ihn mal bräuchte, würde er auf mich warten.«
»Aber diesmal nicht«, sagte Mirabella.
»Ich hatte eine schwierige Kindheit«, platzte Rose heraus. »Dr. Wheeler hat mich gerettet. Er hat mir sozusagen den Kopf zurechtgesetzt.«
»Sie Glückliche«, sagte Mirabella.
»Macht es Ihnen was aus«, fragte Rose, »wenn ich mir die Beine vertrete?« Sie bewegte sich Richtung Tür.
»Lassen Sie Harold lieber in Ruhe«, sagte Mirabella. »Er besucht seine Frau.«
Erschrocken starrte Rose sie an. »Seine Frau?«, wiederholte sie.
»Hat er Ihnen das nicht erzählt?« Mirabella stellte das Kaffeeglas weg, nahm Rose am Ellbogen und lotste sie an den Tisch zurück. Sie stand vor ihr,
blickte auf sie nieder und zupfte an ihrem verpflasterten Finger.
Rose sagte: »Er hat nie erwähnt, dass er verheiratet ist. Auch sonst hat niemand etwas gesagt.«
»Die Männer behalten immer alles für sich«, erklärte Mirabella. »Sie sollten sich das nicht zu Herzen nehmen.«
»Nein, nein«, rief Rose. »Ich verstehe nur nicht, warum er mir nicht gesagt hat, dass er hierherkommt, um seine Frau zu besuchen. Wo ist sie?«
»Liegt auf dem Rücken«, sagte Mirabella und wies mit dem verletzten Finger Richtung Fenster, »sechs Fuß unter der Erde.«
Die nachfolgende Erklärung war kurz und sachlich.
Seine Frau, sie hieß Dollie, hatte sich in einen anderen Mann verliebt. Sie verließ Harold, um mit dem anderen zusammenzuleben, aber der bekam sie nach zwölf Monaten satt. Sie war eine kluge Frau und hätte wissen müssen, worauf sie sich einließ. »Sie ist nicht zum ersten Mal fremdgegangen«, sagte Mirabella mit blitzenden Augen. »Sie hatte auch ein Techtelmechtel mit Shaefer, aber das war nur Sex.«
»Ist Harold dahintergekommen?«
»Um Gottes willen, nein. Er hält große Stücke auf Jesse. Auf jeden Fall kam Dollie nach Wanakena und ertrank in dem See hinter den Bäumen. Man sprach von einem Unfall, obwohl einige Zeitungen einen Selbstmord andeuteten. Er wurde vertuscht, sodass
sie ein ordentliches Begräbnis erhielt. Selbstmörder dürfen nicht in geweihter Erde bestattet werden.«
»Warum hier?«, fragte Rose.
»Sie haben hier ihre Flitterwochen verbracht. Ich habe ihnen das Haus zur Verfügung gestellt.«
»Ich habe einmal einer Lehrerin erzählt, dass meine Mutter sich umgebracht hat. Das war gelogen. Ich bin eine Woche nicht in die Schule gegangen, weil es zu Hause Probleme gab, und ich habe vage angedeutet,
Weitere Kostenlose Bücher