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Die Frau im gepunkteten Kleid

Die Frau im gepunkteten Kleid

Titel: Die Frau im gepunkteten Kleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beryl Bainbridge
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Overall zu. Rose folgte ihm.
    Die Frau machte ein mürrisches Gesicht; sie hatte Haare auf der Oberlippe. Als er ihr seine Last entgegenhielt, schaute sie gar nicht hin, streckte nur die Hand aus und rieb mit dem Daumen gegen die Finger. Ihre Nägel hatten rote Farbkleckse. Harold zog umständlich seine Brieftasche heraus. Kein Wort fiel. Kaum hatte die Frau das Geld bekommen, packte sie den Hund bei den Hinterbeinen, starrte auf den baumelnden Kadaver und schleuderte ihn in den Graben neben dem Zaun.
    Wieder am Campingbus, sagte Rose: »So ein primitives Weib. Du darfst es dir nicht zu Herzen nehmen.«
    Er gab keine Antwort. Er kletterte auf den Fahrersitz, saß da und starrte auf das schimmernde Feld.
    Sie sagte: »Vor ein paar Jahren, als meine Mama starb, musste ich ins Leichenschauhaus und sie anschauen …«
    »Ich dachte, es wäre ein Büschel Tumbleweed«, unterbrach er sie.

    »Nur um mich zu verabschieden. Die meisten Menschen tun das … nicht um sie zu identifizieren, sondern um sie weiterzuschicken …«
    »Die Chance habe ich nicht gehabt«, sagte er. »Darum hat sich Chip Webster gekümmert.«
    »Meine Mama lag in einer Art Osterei … mit einer Papiermanschette ringsum. Ich hab mich runtergebeugt, um sie zu küssen … ihre Wange war so kalt, dass meine Tränen abgeprallt und auf den Boden gefallen sind.«
    Er winkte ab und beugte sich vor, um den Motor anzulassen.
    »Diesmal lüge ich nicht«, sagte sie. »Das ist wirklich passiert. Und ich habe gemerkt, dass ihre Nägel schmutzig waren, also habe ich roten Nagellack gekauft und sie ihr lackiert.«
    »Fürs Jenseits«, sagte er. »Sehr aufmerksam von dir.«
    »Mir hat es gutgetan«, fuhr sie unbeirrt fort, »ich bekam dadurch das Gefühl, dass es nach dem Tod weitergeht. Ihr Körper war da, aber ihre Seele nicht.«
    »Seele«, fauchte er, als sei das ein Schimpfwort.
    »Ja«, sagte sie. »Die war weg, und deshalb war sie tot.«
    »Um Himmels willen«, murmelte er, dann fuhr er schnell an dem halb fertigen Zaun und der Frau mit dem Pinsel vorbei.
    Die Dunkelheit senkte sich herab, während der Campingbus die Meilen verschlang und nichts mehr
zu sehen war als ein Streifen schwarzer Straße, aufgeschlitzt von Scheinwerfern. Harold musste unvermittelt an einen Nachmittag in seiner Kindheit denken, als ein Mann ihn an einen Strand in der Nähe von San Francisco mitgenommen und ihm die Hand in einer Geste väterlicher Fürsorge auf die Schulter gelegt hatte. Diese Erinnerung verursachte eine merkwürdige Leichtigkeit in ihm, ein Gefühl, als schwebe er, genau wie der aufsteigende teure Drachen, den er in die Luft geworfen hatte. Fast sofort war der Papierflieger abgestürzt und hatte zerknüllt im Sand gelegen.
    Er bremste, stieg aus und krümmte sich nach vorn. Er trieb auf einen gespreizten Körper zu, der ausgebreitet auf Pflastersteinen lag. Er hörte das Wort »Sündhaft!« in seinem Mund widerhallen und musste sich erbrechen. Rose sagte nichts. Vermutlich glaubte sie, seine Magenverstimmung komme daher, dass er den Hund niedergemäht hatte.

12
    Achtundvierzig Stunden später – sie hatten sich in einer Stadt namens Bunkerville mit Schinken und Eiern gestärkt – fuhren sie in die Mojave-Wüste. Harold hatte zwei Wasserkanister mitgenommen, einen, falls der Motor heiß lief, und den anderen, damit sie nicht verdursteten. Rose fand die Fahrt enttäuschend, sie hatte den Film vor Augen gehabt, in dem Lawrence von Arabien mit Sandstürmen kämpft. Es gab zu viele Büsche, zu viele Baumgruppen; zweimal sah sie einen Fuchs in der Erde buddeln.
    Sie kamen durch eine von Harolds Geisterstädten. Auf der sonnenverbrannten Hauptstraße patrouillierte eine Menschenmenge in Cowboyhüten auf der Suche nach der Vergangenheit. Das seien alles Touristen, sagte er, möglicherweise seien einige von ihnen hier geboren. Vor einem Haus lag ein alter Planwagen umgekippt auf der schmutzigen Straße, bei einem anderen hing ein mürbes Hemd an einer Wäscheleine, die an der eingestürzten Veranda befestigt war. Harold sagte, man habe es den Touristen zuliebe aufgehängt. In jenen verzweifelten
Zeiten hätte niemand leichtfertig ein Kleidungsstück zurückgelassen.
    Rose bat um etwas zu trinken – es war sehr heiß, und sie schwitzte –, aber Harold sagte, sie solle noch warten, er habe eine Art Ventilator, der ihnen Luft zufächle. Es wurde eine Spur kühler, aber die weite, flache Landschaft verstärkte ihr Trinkbedürfnis. »Ich könnte doch sterben«, sagte

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