Die Frau im gepunkteten Kleid
mindestens eine Stunde lang das Gezeter der Vögel im Laubdach an. Dann ging er duschen. Als er zurückkam, war Rose schon aufgestanden und angezogen, allerdings hatte sie wahrscheinlich in ihren Kleidern geschlafen. Zu seinem Erstaunen hatte sie die Bierdosen von gestern Abend weggeräumt und briet sich ein paar Scheiben Speck.
»Schön, dass du mal Hunger hast«, sagte er.
»Wo fahren wir als Nächstes hin?«, fragte sie. »Ich mach mir Sorgen, dass wir nicht mehr viel Zeit haben.« Sie wirkte gedämpft, ganz anders als das kichernde Mädchen von gestern.
Er breitete die Karte aus und zeigte ihr die geplante Route: Salt Lake City, Salina, Panguitch, St. George, Barstow und dann LA. »Barstow liegt in der Wüste«, sagte er.
»In der Wüste?«, quiekte sie. »Sind Wüsten nicht gefährlich? Was ist, wenn uns der Sprit ausgeht?«
»Es ist doch nicht die Sahara. Es gibt jede Menge Geisterstädte und Tankstellen.«
»Geister?«, jammerte sie.
»Nur leere Häuser, die im Sand versinken.«
»Wie weit ist es noch bis zu diesem Haus in Malibu?«
»Acht-, neunhundert Meilen…«
»Ach du Schande«, stöhnte sie, angelte sich den Speck heraus und stopfte ihn zwischen zwei Brotscheiben, »wir finden ihn nie mehr rechtzeitig. Er
wird wieder weitergezogen sein. Er ist uns immer einen Schritt voraus.«
»Denk an das, was Mirabella gesagt hat«, erinnerte er sie. »Wenn es stimmt, dass er etwas mit der Wahlkampagne der Demokraten zu tun hat, ist er mit Sicherheit in Los Angeles. Und Fury hilft uns bestimmt weiter. Er ist der Typ Mensch, der gute Verbindungen hat.«
Sie kaute auf ihrem Sandwich herum. »Er ist nachdenklicher als andere, nicht wahr? Er hat mir gefallen.«
»Das hast du aber nicht gezeigt«, belferte er zurück. Er wollte noch mehr sagen, aber da überkam ihn plötzlich eine Erinnerung an seinen letzten Besuch in Salt Lake City. Er und Dollie waren hingefahren, um die Geburt des Kindes ihrer Schwester zu feiern. Am selben Tag wurde auf dem verschneiten Kapitolhügel John F. Kennedy als jüngster Präsident aller Zeiten vereidigt. Sie waren in einem Hotel abgestiegen, und eine Katze war in ihr Zimmer eingedrungen und schlief auf ihrem Bett. Spätabends versuchte er, sich auf Dollie hinaufzuschieben, aber sie schüttelte ihn ab; erst am zweiten Abend gab sie nach und lag gefügig da, bis sie plötzlich mit aller Macht das Knie hochzog und ihn in die Eier stieß. Sie behauptete, die Katze sei schuld, sie hätte eine Pfote ausgestreckt und sie am Knöchel gekratzt. Höchst unwahrscheinlich, denn es war kalt, und sie lagen unter der Decke. Das Radio lief, und über seinem Schmerzensschrei hörte er Kennedys pathetische Worte: Fragt nicht, was euer
Land für euch tun kann, fragt, was ihr für euer Land tun könnt. Er stand auf und schleuderte die Katze auf den Flur, woraufhin Dollie ihm Tierquälerei vorwarf.
»Du solltest ein bisschen schlafen«, sagte Rose und klopfte ihm mit fettverschmierten Fingern auf den Arm. »Du siehst sehr müde aus.«
»Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist«, erwiderte er.
»Versuch, nicht zu träumen«, ermahnte sie ihn.
Beunruhigend, wie sie seine Ängste spürte.
Dummerweise schlug er Roses Rat in den Wind und fuhr einfach los. Zweimal musste sie ihn gegen das Bein boxen, damit er nicht einnickte. Aber nicht nur der Schlafmangel machte ihn dösig, auch die unbarmherzig über die silberne Landschaft jagende Sonne verwirrte ihn.
Dann gab es am späten Nachmittag – sie hatten Springfield in Utah schon hinter sich gelassen – einen winzig kleinen, dumpfen Aufprall, gefolgt von einem schwarzen Schattenblitz auf der Windschutzscheibe. Er bremste abrupt. Wenn er nicht wie ein Sack auf seinem Sitz gesessen hätte, wäre er gegen das Armaturenbrett geflogen. Er setzte sich auf, registrierte einen gelben Traktor auf einem platten, sonnenüberfluteten Feld, ein Haus, dessen Anstrich sich schon abschälte, und eine Frau in einem grünen Overall neben einem Holzzaun. Sie hielt einen Pinsel in der Hand, von dem rote Farbe tropfte.
Der Körper rutschte über die Motorhaube, plumpste zu Boden und war nicht mehr zu sehen. Rose krümmte sich und gab komische Laute von sich. Er stieg aus. Der Hund lag auf dem Rücken, eine Pfote erhoben, ein Auge erschreckend lebendig. Er stieß dieselben Laute aus wie Rose. Dann starb er.
Rose stolperte auf die Straße. »Ist er tot?«, fragte sie und packte Harold am Arm. Er schüttelte sie ab, hob das Tier hoch und ging auf die Frau im
Weitere Kostenlose Bücher