Die Frau im gepunkteten Kleid
»Nicht zu weit«, warnte er sie, »hier schleichen Tiere rum.« Nicht dass sie es verdient hätte, beschützt zu werden.
Fury hatte es nicht eilig mit dem Abschied. Er gestand, dass er es unbequem fand, im Auto zu schlafen, aber zu spät gekommen war, um eine Hütte zu mieten. Er hatte ein Zelt, aber Zelte waren wegen der Grizzlybären verboten. Er würde gern die ganze Nacht wachbleiben, sagte er, wenn Harold nichts dagegen habe.
»Überhaupt nicht«, sagte dieser.
Zu seiner Erleichterung mied Fury das Thema spirituelle Erfahrungen und konzentrierte sich auf
McCarthys Stärken und Schwächen und auf den nicht minder vielschichtigen Richard Nixon.
»Er steht immer wieder kurz vor dem Verfolgungswahn, verfällt ihm aber nicht restlos. Sein Stil ist eine perfekte Mischung aus Raserei und Vorsicht, findest du nicht?«
Harold sagte: »Stimmt schon, trotzdem schätze ich ihn.«
»Viele finden ihn schrecklich, seit er versucht hat, Adlai Stevenson mit Alger Hiss in Verbindung zu bringen.« Plötzlich brach Fury mitten in seinen Ausführungen ab. Er blickte in die Dunkelheit und fragte: »Sie ist älter, als sie sich anhört, hab ich recht?«
»Ja«, feixte Harold, »um ungefähr fünfzehn Jahre.« Er hoffte, dass Rose nicht zuhörte.
»Wieso seid ihr zusammen? Ihr beide habt doch weiß Gott nicht viel gemeinsam.«
»Ich kenne sie kaum«, gab er zu, »aber wir suchen dieselbe Person … einen gemeinsamen Bekannten von früher.«
»Jemand wichtigen?«
»Für sie schon.«
»Eine unerledigte Geschichte vielleicht«, sagte Fury. Wieder rieb er sich die Stirn.
»Ich habe Aspirin«, bot ihm Harold an. »Würde dir das helfen?«
Fury lehnte ab; er habe keine Schmerzen, spüre nur die verfärbte Stelle über dem linken Auge. Er nahm die Hand weg und beugte sich vor. Harold setzte
eine mitleidige Miene auf, obwohl er offen gestanden nichts Außergewöhnliches sah.
Fury erklärte: »Ich war zufällig an dem Tag in Dallas, als JFK ermordet wurde. Geschäftlich. Ich hatte einen Klienten, dessen Frau das eigene Haus angezündet hatte, um die Versicherungssumme zu kassieren. Sie war eine von jenen Frauen, die Männer wegen ihrer Überlegenheit nicht leiden können. Du kennst die Sorte?«
Harold grunzte bejahend.
»Als ich das Gericht verließ, nahm ich in der Innenstadt ein Taxi, merkte aber, dass die Straße zum Flughafen gesperrt war. Ich stieg aus, mischte mich unter die Menge am Straßenrand, konnte kurz einen Blick auf die Fahrzeugkolonne werfen, hörte zwei Schüsse und wandte mich rechtzeitig ab, bevor der dritte fiel. Wenn ich nicht nach links zu dem kleinen Jungen geschaut hätte, der sich zu seinem Hund bückte, um ihn zu beruhigen, hätte ich eine Kugel in den Kopf bekommen. So hat sie nur meine Schläfe gestreift. Glück vermutlich.«
»Vermutlich…«, sagte Harold. Er sah Oswald vor sich, die Augen zu Schlitzen zusammengekniffen, einen blutleeren Finger um den Abzug gekrümmt.
»Ich wurde nicht als Zeuge geladen. Man hat es nicht für nötig erachtet, weil dieser Oswald sofort gefasst wurde. Dann hat Jack Ruby die Sache zu Ende geführt, und man hielt die ganze Geschichte für erledigt. Viel Gutes kam nicht dabei heraus. Wenn man
aus Sympathie gewählt werden will, gibt es nichts Besseres, als auf einen ermordeten Bruder zu steigen, und Bobby wird auch die schwarzen Wählerstimmen bekommen … wegen Luther King. Ein plötzlicher Tod ist politisch sehr nützlich.«
Harold sagte: »Aber sonst weniger.«
»Ich habe den Prozess verloren«, sagte Fury. »Die Frau war zu hübsch – wenn man auf diese Art steht. Ich nicht. Zu männlich … ein Hauch Joan Crawford.«
Harold sah Dollies Adlernase und ihren markanten Kiefer vor sich.
»Hat sie in dem Film mitgespielt«, fragte er, »in dem eine Frau ins Meer läuft, um Schluss zu machen … nicht aus Feigheit, sondern weil sie einfach keinen Sinn mehr sieht?« Kaum waren die Worte aus seinem Mund, wunderte er sich, wie sehr sie nach Rose klangen.
Sie kam aus der Dunkelheit und stieg wortlos in den Campingbus. Sie schloss die Tür hinter sich.
»Bei der wäre ich vorsichtig«, sagte Fury. »Die könnte dich in Schwierigkeiten bringen.«
Um halb fünf brach er auf, gerade als das erste Licht in den Himmel stieg. Bevor er fuhr, gab er Harold seine Adressen in Los Angeles und Santa Ana.
»Wir sind uns einig«, sagte er. »Ich bin um den 2. Juni wieder in der Stadt. Schau vorbei.«
Harold machte sich eine Tasse Kaffee, setzte sich und hörte sich
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