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Die Frau im gepunkteten Kleid

Die Frau im gepunkteten Kleid

Titel: Die Frau im gepunkteten Kleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beryl Bainbridge
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würde sie wohl tun, wenn Mrs Weiner ein Bild heraufbeschwor, in dem Sand auf Billy Rottens Kopf geschüttet wurde? Sie hätte sich nicht zu sorgen brauchen. Ihr beschrieb man nur einen jungen Mann in einem gelben Pullover, der auf einem schwarzen Pferd vorbeigaloppierte.
    »Hellgelb?«, fragte sie und setzte eine nachdenkliche Miene auf. Sie sah sich in dem langweiligen Raum um: weiße Wände, kein Bild, die niedere Decke übersät mit Punktstrahlern. »Er war zu einer wichtigen Zeit bei Ihnen«, sagte Mrs Weiner.

    Rose antwortete: »Ich mag keine Pferde.« Das stimmte nicht. Als Kind hatte sie oft auf der braunen Stute gesessen, die den Wagen des Milchmanns durch die Dorfstraßen zog, aber dieses Tier hatte sich nie schneller als in einem gelassenen Trab bewegt. »Sie kennen ihn nicht«, räumte Mrs Weiner ein, wahrscheinlich meinte sie den Gelben Pullover, »aber Sie haben viel gemeinsam.«
    Rose verkrümelte sich Richtung Tür, eine Hand über den Augen, als verberge sie ihre Tränen; dem Sammelteller wich sie aus.
    Draußen war es fast dunkel und immer noch warm. An einer Stelle senkte sich das Grundstück zu einem Halbkreis aus Bäumen, in denen Laternen hingen; Motten flatterten wie Schneeflocken um das mandarinfarbene Licht. Davon angezogen, trat sie näher und blieb abrupt stehen. Sie hatte ein Paar entdeckt, das sich im Schatten umarmte. Ein romantisches Bild. Hoffentlich schlugen ihre Herzen im Takt. Sie selbst hatte in all den Jahren sexueller Begegnungen wahre Liebe nur einmal erlebt. »Eine schmutzige Vereinigung unzüchtiger Minderjähriger« hatte ihre Mutter das genannt, deshalb musste das daraus resultierende Kind fortgegeben werden. Darauf war Verlass: Mütter wussten immer, was am besten war.
     
    Rose war in ihrem Zimmer und schon halb ausgezogen, als es an der Tür klopfte. Sie fragte, wer es sei, und hörte Harolds Stimme. Als sie ihn einließ, fummelte
er an der offenen Knopfleiste seiner Shorts herum und stopfte seinen erigierten Penis in ein Kondom. Er packte sie und stieß sie aufs Bett. Sie hätte aufspringen oder ihn wegboxen können, aber sie tat keins von beiden. Er lag auf ihr, und seine Zunge schlabberte in ihrem Ohr herum. Über dem Brüllen der See hörte sie ihn murmeln: »Hilf mir … ich muss … ich kann…«
    Weil er so leicht in sie eindringen konnte, glaubte er wahrscheinlich, dass sie erregt war. Er brauchte nicht zu wissen, dass sie zu jenen Weibchen gehörte, deren Körper immer bereit war, auch wenn sie selbst sich innerlich verschlossen. Nach ein paar Sekunden war es vorüber. Er verließ sie fast sofort.
    Sie schlief traumlos, und als sie am nächsten Morgen hinausging, fand sie zu ihrer Überraschung das Motel von bewaffneter Polizei umstellt. Weitere Polizisten patrouillierten unter den Bäumen. Sie fantasierte vor sich hin und stellte sich vor, dass Harolds Verhalten zu einer Festnahme geführt hatte. Aber als sie ins Frühstückszimmer kam, lief er auf sie zu und nahm ihren Arm. »Es hat einen Mord gegeben«, sagte er, »unten am Bach.« Er wirkte mitgenommen. In der Morgendämmerung war ein weiblicher Leichnam mit aufgeschlitzter Kehle gefunden worden. Es war die Frau eines Bluessängers aus Las Vegas. Der Leiter des Motels war ihr Vater, der arme Mann.
    Sie wollten sich gerade zum Frühstück setzen, als Mrs Weiner, die Spiritistin, sich näherte und nach Roses Arm griff.

    »Haben Sie es gemerkt?«, zischte sie, und ihre Wangen glühten vor Aufregung. »Wir können tatsächlich Dinge voraussehen!«
    »Was für Dinge?«, fragte Rose.
    »Den Tod«, sagte Mrs Weiner. »Diese Frau gestern Abend, die von einem Schwarzen ins Gebüsch gezogen wurde…«
    Harold unterbrach sie streng. »Wir wissen nicht, ob es ein Farbiger war. Sie haben kein Recht, das anzunehmen … Der Name Abe Lincoln bedeutet Ihnen vermutlich nichts.«
    Mrs Weiner ließ sich nicht einschüchtern. »O doch«, schnaubte sie. »Das war der, der gesagt hat, dass Nigger niemals Weiße heiraten oder sozial und politisch gleichberechtigt sein dürfen.«
    Harold wich einen Schritt zurück, als habe er eine Ohrfeige erhalten.
    »Die Mutter der Frau mit den Ohrringen ist nicht gestorben«, sagte Rose und schubste Mrs Weiner weg, »die ist nur belästigt worden. Sie bringen alles durcheinander.«
    Sie führte Harold zu einem Tisch in der Nähe der Tür. Aus seinem Gesicht war alle Farbe gewichen. »Es dauert noch einige Zeit, bis die Leute die Dinge anders sehen«, sagte sie. »Was ihnen heute schlimm

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