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Die Frau im gepunkteten Kleid

Die Frau im gepunkteten Kleid

Titel: Die Frau im gepunkteten Kleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beryl Bainbridge
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sie. Er lachte; er wusste nicht, dass Sand sie verstörte. Im Radio kam ein Interview mit einem Mann, der dabei gewesen war, als Robert Kennedy vor einem Jahr im Kongress eine Rede über Vietnam gehalten hatte. Krieg, hatte Kennedy gebrüllt, ist der leere Augenblick verblüfften Schreckens, wenn eine Mutter mit ihrem Kind den Feuertod aus einer unwahrscheinlichen Maschine fallen sieht, gesandt von einem Land, von dem sie fast nichts weiß.
    »Was für ein komplizierter Satz«, sagte Rose. Harold sagte, sie solle still sein.
    Wer sind wir, dass wir die Rolle des Racheengels spielen?, fragte die Stimme im Radio.
    Nach weiteren zwei schweißtreibenden Stunden hielt Harold vor einem Gasthaus und weigerte sich weiterzufahren. Er nahm getrennte Zimmer. Sie aßen in einem voll besetzten Speiseraum zu Abend, schicker als sonst, mit großen Fotos von altmodisch gewandeten, ernst blickenden Männern an den Wänden. Gegenüber von Rose hing ein Porträt von Roosevelt. Am Nachbartisch saß ein älteres Paar; der Mann hatte sich eine Papierserviette unters Kinn geschoben und hatte
schon einen tiefroten Ketchupklecks auf der Brust. Die Frau summte ziemlich laut irgendeine Melodie – wenn sie sich nicht Essen in den Mund stopfte.
    »Dein Haar ist nass«, sagte Harold. Er klang streng. Rose gab zu, dass sie geduscht hatte. »Ich hasse es, aber ich habe geschwitzt wie ein Schwein.« Er starrte sie an, und seine Miene war schwer zu deuten.
    »Was machst du«, fragte sie und versuchte zuversichtlich zu klingen, »wenn wir Dr. Wheeler gefunden haben? Bleibst du in Los Angeles und fährst dann den ganzen Weg alleine zurück?«
    »Ich bin mir noch nicht sicher …«
    »Ich weiß, dass er dir das Geld gibt, das ich dir schulde«, beruhigte sie ihn.
    »Natürlich«, sagte er. »Auf Wheeler war immer Verlass.«
    Ihr lag daran, ihm noch einmal zu sagen, wie dankbar sie für seine Hilfe war, dass sie es zu schätzen wusste, wie großzügig er sein Geld hinblätterte. »Es ist nicht so leicht, mit mir auszukommen«, räumte sie ein. »Das hat mit meiner Herkunft zu tun. Ich weiß, du hättest auch erwarten können, dass wir … du weißt schon … Sex haben … Die meisten Leute hätten unter diesen Umständen … aber …«
    »Sprich leiser«, ermahnte er sie. »Du wünschst dir, dass es zu Ende ist«, murmelte er, »und ich auch.«
    Sie wusste nicht, von welchem Ende er redete, und es war ihr auch egal. Innerlich ging sie auf eine Gestalt in einem Trilbyhut zu.

    Finger krallten sich um ihren Ellbogen. »Ich konnte es nicht verhindern«, entschuldigte sich die summende Frau, »mir ist aufgefallen, dass Sie einen englischen Akzent haben. Entschuldigen Sie, dass ich Sie belästige, aber mein Mann und ich fahren nächste Woche nach London. Es gibt da einiges, was wir gern wissen würden, wenn Sie etwas Zeit für uns hätten.«
    Harold wollte nicht in ein Gespräch verwickelt werden. Zweimal versuchte die Frau, ihn einzubeziehen, doch er antwortete nicht. Er und der Mann mit der schmutzigen Serviette konzentrierten sich auf ihren Teller.
    Die Frau sagte, sie heiße Mrs Weiner; sie sei Theosophin und glaube an die Wiedergeburt. Außerdem könne sie wahrsagen, handlesen und Karten legen, ja eigentlich jedem persönlichen Gegenstand Informationen über die Vergangenheit oder Zukunft seines Besitzers entlocken. In letzterem Fall genüge schon ein Knopf. Die Verbindung zu einem Verstorbenen lasse sich am zuverlässigsten durch Kopfkissenfedern herstellen, denn die hätten etwas mit Fliegen zu tun, und Fliegen habe etwas Vagabundierendes, Vergeistigtes.
    »Wie interessant«, sagte Rose. Ihre Hand steckte in der Tasche ihres Regenmantels, und ihr Daumen strich glättend über das Foto von Dr. Wheeler.
    »Die Theosophie wird gar nicht so selten praktiziert, wie Sie vielleicht denken«, versicherte Mrs Weiner. »Sie wurde in Amerika begründet, aber jetzt
ist sie eine weltweite, auch in Ihrem Land starke Bewegung. Ich soll in zwei Wochen eine Konferenz in London besuchen, in St. John’s Wood. Liegt das auf dem Land? Brauche ich da einen Sonnenhut, ein Mückenspray?«
    »Wohl kaum«, sagte Rose.
    »Wir treffen uns in einem Haus, in dem einmal Madame Blavatsky gewohnt hat. Haben Sie von der schon gehört?«
    Rose schüttelte den Kopf.
    »Alles wird bezahlt«, sagte die Frau, »Flugtickets, Hotels. Sind die Lebensmittel noch rationiert? Muss ich Süßstoff mitnehmen?«
    Seltsam, dachte Rose, wie jemand, der sich so gut mit der Zeit auskannte, der

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