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Die Frau im gepunkteten Kleid

Die Frau im gepunkteten Kleid

Titel: Die Frau im gepunkteten Kleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beryl Bainbridge
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soliden Geldanlagen?

    Am dritten Morgen antwortete Rose nicht auf das Klopfen an ihrer Tür. Beunruhigt eilte er ins Frühstückszimmer, dann hinaus auf die Straße. Sie saß auf der Veranda einer Bretterbude und führte Selbstgespräche. Er schalt sie, weil sie weggegangen war, und sie erzählte, sie habe einen netten Mann getroffen, der ihr ein Lied beigebracht habe. Er zog sie hoch und brachte sie zurück ins Gasthaus. Diesmal trank sie nur Kaffee und fragte nicht wie sonst, wie lange es noch bis Malibu dauerte. Sie zündete sich eine Zigarette an, rauchte sie nur halb und schob den Rest in die Tasche ihres Regenmantels.
    »Dieser Schwarze hat gesagt, auf einer Farm, ungefähr eine Meile von hier, hat es eine Schießerei gegeben«, berichtete sie. »Eine Frau in einem Rollstuhl. Sie ist nicht tot.«
    Schießereien seien an der Tagesordnung, erklärte er, blickte auf seinen Teller und hörte das schneller gewordene dumpfe Pochen seines Herzens.
    »Und er hat mir ein Lied beigebracht«, sagte Rose und zitierte:
     
    We grub de bread,
    Dey gub us de crust
    We skim de pot,
    De gub us de liquor
    And say dat’s good enough for niggers.

    »Um Himmels willen«, zischte er, »zurzeit kommt es überall in den Staaten zu Unruhen, hauptsächlich wegen solcher vorurteilsbehafteter Leute wie dir. Du darfst dieses Wort nicht benützen!«
    »Entschuldigung«, stammelte sie und wirkte ehrlich bestürzt, »ich dachte nur, das ist ein interessantes Lied, von Sklaven verfasst. Sie haben das Wort Nigger benützt …«
    »Sogar die Namen von Bergen und Flüssen, in denen es vorkam, sind geändert worden«, sagte er, »so unannehmbar ist das.«
    »Aber wir sind doch durch einen Ort namens Nigger Creek …«
    »Lass es einfach«, sagte er, aber sie dachte nicht daran.
    »Das ist auch nicht anders, als wenn man dich einen Yankee nennt«, rief sie, »ihr seid alle Amerikaner.« Dann faselte sie etwas von einem englischen Politiker, der offenbar Schwierigkeiten bekommen hatte, weil er gesagt hatte, es kämen zu viele Farbige nach Großbritannien. »Das war erst vor ein paar Wochen«, sagte sie. »Er hat davor gewarnt, dass die Themse noch vor Blut schäumt, wenn das so weitergeht.«
    Sie solle ihre Sachen zusammenpacken, befahl er kurz angebunden und ging mit großen Schritten hinaus zum Campingbus.

    Es waren noch einhundertfünfzig Kilometer bis Los Angeles. Harold mied die Route 66 und wählte einsame Landstraßen. Durchs Fenster sah man nur Ackerland, gesäumt vom schwindenden, verschwommenen Anblick sonnenüberfluteter Berge. Nach einer Stunde hielt er an. Jetzt, kurz vor dem Ende der Reise, mischte sich Furcht in seine Euphorie. Es hätte ihm geholfen, wenn er sich seiner Reisegefährtin hätte anvertrauen können, aber sie war nun einmal nicht mehr als das.
    Rose fragte, was los sei. Er überlegte, ob er sagen sollte, sie hätten kein Benzin mehr. Er blickte ihr ins Gesicht – ihre blassen Lippen schienen zu zittern  –, und einen verrückten Moment lang hatte er das Gefühl, es wäre vielleicht möglich, ihr die Wahrheit zu sagen. Aber das kam nicht infrage. Sie hätte kaum zugelassen, dass ihrem kostbaren Dr. Wheeler ein Leid geschah.
    Er griff unter seinen Sitz und sagte: »Ich brauch was zu trinken. Mir tut die Hand weh.«
    Sie sagte: »Nur zu. Davon wird es bestimmt besser.« Sie schraubte ihm sogar die Flasche auf und hätte sie ihm an den Mund gehalten, wenn er sie ihr nicht weggeschnappt hätte. Er merkte, dass sie ihn beobachtete, ihr Mund bog sich zu einem geduldigen Lächeln. »Hilft das Trinken?«, fragte sie.
    »Nichts hilft«, fauchte er. »Wie sollte es auch?«
    Zögernd bot er ihr die Flasche an, aber sie sagte, sie brauche eigentlich nichts, sie habe schon genug
seltsame Gedanken. Sie lebe überwiegend in der Vergangenheit, gestand sie. Das Hier und Jetzt bedeute ihr wenig, deswegen sei sie so außergewöhnlich. Es kam ihm komisch vor, dass sie so gar nicht ahnte, wie sie wirkte, aber er lachte nicht.
    »Ich hätte dich nicht als Trinker eingeschätzt«, sagte sie, »du bist nicht der Typ. Du hast nichts, was dich quält.«
    Er starrte aus dem offenen Fenster und sah Wheeler vor sich, der in einem Rollstuhl über den blendend hellen Himmel trieb.
    Rose sprach wieder mit sich selbst. Als sie seinen Blick sah, erklärte sie, sie streite mit ihrem Vater. Das tue sie öfter, denn jetzt könne er nicht mehr antworten, weil er tot sei. Harold sagte nichts dazu. Er versuchte sich zurechtzulegen, wo und wie er

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