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Die Frau im gepunkteten Kleid

Die Frau im gepunkteten Kleid

Titel: Die Frau im gepunkteten Kleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beryl Bainbridge
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vorkommt, werden sie eines Tages für normal halten.« Sie wusste selbst nicht so recht, was sie damit sagen wollte.
    Sie verzehrte ein riesiges Frühstück, sogar die Kartoffelpuffer, und plauderte entspannt mit Harold. Sie
bewunderte sein grün gestreiftes Hemd, das sie noch nie an ihm gesehen hatte, und sagte: »Mach lieber die oberen drei Knöpfe auch zu. Mit deinen Mückenstichen siehst du aus, als hättest du die Pest.«
    Er schaute sie beleidigt an. Rose tätschelte ihm die Hand. Jetzt, wo sie ihm nichts mehr schuldete, fiel es ihr leicht, unbefangen mit ihm zu reden. Sie sagte, sie wolle nachsehen, wie das Wetter sei, stand rasch auf und ging Richtung Tür. Geblendet vom Sonnenlicht, schlug sie sie hinter sich zu und hörte im selben Augenblick einen Schmerzensschrei.

13
    Die Verletzung an Harolds Hand war nicht lebensgefährlich, auch wenn sie nach dem Schlag anfangs grausam schmerzte. Es half, wenn er die Hand in die Luft hielt, das hatte er als Kind nach einer Verletzung beim Basketball gelernt. Damals hatte seine Mutter mit glasigem Blick, den Whisky in der Linken, seine Finger Richtung Wolken geschoben.
    Das Blut, das unter den gequetschten Nägeln hervortrat, brachte Rose aus der Fassung; sie hatte sogar Tränen in den Augen. Er wollte sie schon beruhigen, es sei nicht so schlimm, als ihm bewusst wurde, dass es vielleicht von Vorteil war, wenn sie dachte, es sei ernst. Beim Frühstück hatte sie angedeutet, man könne Los Angeles doch umgehen und gleich nach Malibu fahren. Durch ein Telefonat wusste er bereits, dass Wheeler vor drei Tagen ausgezogen war, aber das sagte er ihr nicht.
    Rose bestand darauf, dass sich jemand um seine Hand kümmerte. Der Wirt ließ eine Frau vom Personal kommen, die die gequetschten Finger in einer Desinfektionslösung badete und dann einen Verband
anlegte. Sie zog auch eine Schlinge hervor, aber Rose protestierte. Dann könne er das Lenkrad nicht mehr richtig halten, sagte sie.
    »Ich denke gar nicht daran, zu fahren«, erwiderte er, »zumindest ein, zwei Tage. Das wäre zu riskant.«
    »In Ordnung«, sagte sie. »Dann trampe ich.«
    »Das geht nicht«, widersprach er. »Das ist gefährlich.«
    »Mach dir keine Sorgen«, erwiderte sie. »Als Kind bin ich per Lastwagen durch ganz England gefahren.«
    »Zum Henker mit England!«, rief er. »Das hier ist Amerika. Setz einen Fuß allein auf die Straße, und du wirst erstochen, erschossen, erwürgt …« Beinahe hätte er hinzugefügt »und vergewaltigt«, doch dann fiel ihm sein eigenes Verhalten von gestern Abend ein. Er zuckte zusammen, umfasste das Gelenk der verletzten Hand. Diesmal erhob sie keine Einwände und ging auch nicht weg. Vermutlich fühlte sie sich schuldig, weil sie ihm wehgetan hatte.
    Sie blieben zwei Nächte in dem Gasthof. Rose meinte, es wäre billiger, im Lieferwagen zu schlafen, aber er sagte, bei einer Temperatur von fast vierzig Grad könne man unmöglich ohne Klimaanlage schlafen. Dass sie nach Schweiß stank, erwähnte er nicht.
    Er bestand darauf, dass sie mit ihm den geschichtlich bedeutsamen und jetzt baufälligen Bahnhof Casa del Desierto besichtigte, an der Bahnlinie, die Kansas City mit dem Pazifik verbunden hatte. Sie warf ihm einen komischen Blick zu, folgte ihm aber, als er die
Main Street hinunterging. Als sie dort waren, starrte sie auf die zerfallene Fassade, während er erläuterte, dass die Gegend vor einem Jahrhundert für ihr Gold-und Silbervorkommen berühmt gewesen sei.
    »Warum hat hier alles einen ausländischen Namen?« , fragte sie.
    »Weil das meiste Land zu Mexiko gehört hat, bevor Gold gefunden wurde.«
    »Der Goldrausch«, zirpte sie. »Ich habe Charlie Chaplin in dem Film gesehen.«
    »Als die Goldminen unergiebig wurden, zogen die Einwanderer weiter. Deshalb gibt es so viele Geisterstädte.«
    Sie plapperte etwas daher von der Gier der Menschen und dass der Reichtum alle ruiniere. »Mein Vater hat 1929 Bankrott gemacht«, sagte sie. »Er war so verrückt nach Geld, dass er keinen Gedanken mehr für Mondlicht oder Blumen übrig hatte.«
    Harold wandte den Kopf ab und starrte in den meerblauen Himmel. Er fragte sich, wie lange er ihre kindischen, dummen Sprüche noch aushalten würde.
    »Wir hatten einen Rosengarten«, erzählte sie, »den hat er verkommen lassen, weil er ihn nicht gedüngt hat. Meine Mutter weinte.«
    »Wheeler hat Geld«, unterbrach er sie und fügte hinzu: »Und ich auch.«
    Das brachte sie zum Schweigen. Wo wäre sie schließlich gewesen ohne seine

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