Die Frau im Kühlschrank
floß grauschwarz und wenig einladend die Kaimauer entlang. Es roch stark nach Bilgenöl. Neben einem morschen Brett trieb ein verwelkter Kohlkopf in einem Brautschleier aus schmutzigbraunem Schaum, ein gebrauchtes Kondom, eine leere Flasche mit goldenem Schraubverschluß und ein Stück Apfelsinenschale: vielleicht die mageren Reste nach einem Abend in Saus und Braus.
Ein Mann blieb neben mir stehen. Ich sah in sein Gesicht. Es war verkniffen und blaßgrau, mit drei Tage alten, grauweißen Bartstoppeln, Tabaksoße im Mundwinkel, geplatzten Äderchen auf der Nase und Zähnen wie kleine, schmutzige Steine. »Suchste was?« fragte er.
Er trug eine graue Schirmmütze, eine graubraune Jacke, eine grauschwarze Hose und Schuhe, mit gähnenden Löchern an den Spitzen. Das Wasser tropfte vom Schirm seiner Mütze, und der Frost fuhr wie unfreiwillige Zuckungen durch seinen mageren Körper.
»Nein«, sagte ich.
»Haste nich drei Kron für ’ne Tasse Kaffee, ej?«
Ich nickte, holte ein Fünfkronenstück heraus und gab es ihm. Er dankte und trippelte weiter, flink wie ein Lemming.
Ich sah mich um. Der Nebel war dabei, die Stadt in einen Schleier der Barmherzigkeit zu hüllen. Der Kontrast zwischen der alten Bebauung und den neuen Betonklötzen wurde verwischt. Das niedrige Stadtprofil wurde klarer – weil es mehr Profil war als Landschaft. Und über dem Ganzen hing der Himmel. Es war nicht wie in Bergen, wo du Berge hast, die deinen Blick begrenzen. Hier lag nur ein gezackter Bergrücken weit, weit im Osten, ansonsten hing zwischen den höchsten der Häuser nur schmutziggrauer Himmel.
Als ich zum Hotel zurückkam, war ein neuer Mann an der Rezeption mit einer neuen Nachricht aus Bergen: Solveig hatte angerufen. Mehr nicht.
Ich dankte, bekam den Schlüssel und ging auf mein Zimmer. Es war frisch gereinigt, sauber und kalt. Ich holte die halbe Flasche Aquavit hervor, die ich am Abend zuvor aus Ole Johnnys Lokal mitgebracht hatte, goß mir ein halbes Zahnputzglas voll und nahm einen Schluck. Das wärmte.
Mein Hemd war noch nicht ganz trocken, aber mir war nicht danach, mich umzuziehen. Ich setzte mich aufs Sofa, griff nach dem Telefonhörer und wählte die Nummer in Bergen.
Als ich nach ihr fragte, sagte die Dame in der Vermittlung: »Einen Augenblick.« Es verging ein Augenblick oder auch zwei, dann war sie dran. Ihre Stimme war ebenso nah, als säße sie neben mir auf dem Sofa, nur mit der Hülle der Telefonstimme um sich herum, einem metallischen Klang der Vokale. »Ja, hallo? Hier ist Solveig Manger.«
»Hallo. Ich bin’s.«
»Oh, hallo!« Sie klang erfreut. »Es ist nicht gerade leicht, dich zu erreichen. Hast du viel zu tun?«
»Ja. Bei mir geht es ziemlich – hektisch zu.«
»Hast du den gefunden, nach dem du gesucht hast?«
»Nein. Noch nicht …«
»Ist – ist irgendwas?«
»Nein, ich – du fehlst mir!«
Eine kurze Pause. »Also, du weißt nicht, wann du wiederkommst?«
»Nein. Vermißt – vermißt du mich?«
»Ja, natürlich.« Es klang so leicht dahingesagt, wie sie es sagte.
Wieder entstand eine Pause. Dann sagte sie: »Aber – es …«
»Ja?«
»Nein.«
»Was wolltest du sagen?«
Wieder eine Pause. Ich schluckte. Als ihre Stimme wiederkam, war der Tonfall wieder leicht. »Wenn du wiederkommst, dann müssen wir mal ernsthaft miteinander reden, ja?«
»Wenn du meinst?«
Stille. Ich starrte auf das Zahnputzglas. In einem Sekundenblitz sah ich die zusammengefaltete Frauengestalt im Kühlschrank. Ich rief: »Du darfst mich nie verlassen, Solveig!«
»Sag doch das nicht – so … Du weißt, ich werd immer …«
»Ich brauch dich!« Ich erkannte fast meine eigene Stimme nicht wieder.
»Ich werd dich immer liebhaben, Varg, aber … Aber können wir nicht darüber reden, wenn du wieder da bist?«
»Doch, wir …« Ich hatte ein starkes Stahlseil um meine Stirn, dunkle Punkte vor den Augen, ein Waffelmuster im Gaumen.
»Denk nicht – daran. Komm nur wieder heil nach Hause zu – zurück, ja … Varg?«
»Ja, ja. Okay. Mach’s gut, Solveig, wir – telefonieren.«
»Mach’s gut, Varg.« Ihre Stimme war warm und verzweifelt zugleich, angespannt und traurig.
»Mach’s gut, Solveig.«
Ich legte auf, saß da und starrte das graue Telefon an, wartend, daß sie wieder anriefe. Aber das Telefon blieb stumm.
Ich griff nach dem Glas und leerte es. Ich füllte es erneut, voll dieses Mal. Ich leerte es mit drei schnellen Schlucken. Es brannte im Magen, und der Körper zitterte. Die Wärme
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