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Die Frau im Kühlschrank

Die Frau im Kühlschrank

Titel: Die Frau im Kühlschrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Dank dir, Kleine … Noch ein letzter Kuß?«
    Ich hörte ein paar undefinierbare Laute und ein halbersticktes Lachen. Dann taumelte sie in den Raum hinein. Sie kam vorsichtig näher und setzte sich behutsam hin, mit bedächtigen Bewegungen, wie eine alte Frau. Die Tür schlug hinter ihr zu, und das Ritual mit dem Schlüssel und dem Riegel folgte gnadenlos. Die schweren Schritte verschwanden die Treppe hinauf.
    In der Stille hörte ich ein schwaches Schluchzen. Ich hob den Kopf.
    Sie saß mit dem Rücken zur Wand. Die Ellenbogen auf die Knie gestützt, verbarg sie das Gesicht in den Händen. Das Haar fiel nach vorn, und sie hielt die Beine gespreizt. Sie saß nur in Bluse und Unterhose da. Die anderen Kleidungsstücke – eine Cordhose und ein Pullover – lagen in einem Knäuel neben ihr. Die Schulter bebten leicht.
    Ich kam wieder auf die Knie und krabbelte zu ihr hinüber. Ich konnte nicht die Arme um sie legen, aber ich legte meine zusammengeketteten Hände an ihre eine Wange und mein Gesicht an die andere. Ihre Wangen waren naß.
    Ich sagte: »Nicht weinen … Nicht …«
    Sie lehnte sich schwer an mich, legte die Arme um meinen Hals und schluchzte laut.
    Ich ließ sie weinen. Schließlich sagte ich: »Waren sie – haben sie dir weh getan?«
    Ihre Stimme klang wie durch Watte. »Nein, nein, nicht besonders … Aber es war, es war so … so erniedrigend!« Das letzte Wort kam wie ein kleiner Ausruf, und daraufhin begann sie richtig zu schluchzen.
    Schließlich beruhigte sie sich. Sie wischte sich mit den bloßen Händen übers Gesicht. Dann hob sie den Kopf und blickte mir in die Augen, sah mich forschend an. »Wie – wie fühlst du dich, Varg, du siehst …« Sie sagte nicht mehr, aber ihre Hände befühlten vorsichtig meine geschwollenen Lippen. »Ohhh«, seufzte sie.
    »Als wäre ich von der Straßenbahn überfahren worden, vorwärts und rückwärts«, sagte ich.
    Sie zog sich an, mit müden Bewegungen.
    Wir saßen eine Weile still da. Sie legte ihr Gesicht an meine Schulter. Mir kam ein Gedanke, und ich sagte: »Hast du zufällig einen Lippenstift?«
    Sie sah mich erstaunt an. »Meinst du, ich soll mich anmalen?«
    »Nein, aber ich wäre gern diese Handschellen los.«

32
    »Ich durfte meine Tasche mit runternehmen«, murmelte sie und tastete im Dunkeln herum. »Hier …«
    Sie hielt die kleine Tasche in der Hand, und ich hörte das Schloß aufspringen. Dann reichte sie mir den Lippenstift mit einem fragenden Blick.
    »Nein«, sagte ich. »Guck mal hier.« Ich hielt ihr meine Handgelenke hin. »Schmier den ganzen Lippenstift hierhin, außen drauf, über die Knöchel. Das macht sie glatter …« Ich hatte noch immer Kopfschmerzen, und mein Kiefer fühlte sich an, als sei er aus kaputtem Glas, aber der Eifer weckte langsam wieder die Wärme in meinem Körper. Ich spürte den Frost im Raum nicht, vergaß fast die Schmerzen.
    Sie hielt meine Hände behutsam mit der einen Hand, und mit langsamen, fast sinnlichen Bewegungen rieb sie den glänzenden rosa Lippenstift über meine Handgelenke. Der Puls pochte in meinen Adern, und das Herz klopfte in meiner Brust. »So, ja«, hörte ich meine Stimme sagen, vibrierend und ermattet. Ich wagte noch nicht, es zu versuchen.
    »Jetzt ist bald nichts mehr da«, sagte sie. »Wie …«
    Der Lippenstift war aufgebraucht. Ich beugte mich vor und spuckte auf die Handgelenke, aber mein Mund war zu trocken. »Spuck drauf«, sagte ich.
    Sie machte keinen Einwand. Sie spuckte.
    »Verreib es«, kommandierte ich. »Vermisch es mit dem Lippenstift, vermisch es, so gut es geht.«
    Es war ein salziger, fremder Geruch an ihr. Wir knieten voreinander, als führten wir ein zutiefst persönliches Liebesritual aus. Ich sah jetzt die Spucke und den Lippenstift glänzen. »Das reicht«, sagte ich.
    Ich versuchte, die eine Hand herauszuziehen, preßte die Hände gegeneinander, machte sie so schmal wie nur möglich. Es war zu eng. Ich stöhnte vor Enttäuschung.
    Elsa verfolgte alles genau, mit krummem Rücken wie ein Geier, angespannt wie ein Sprinter an der Startlinie.
    »Verdammt!« fluchte ich. »Verdammte Scheiße!« Es half nichts.
    Ich stand auf, beugte mich nach vorn, legte die Hände auf den Boden und versuchte, auf die Kette zwischen den Händen zu treten. Ich stand krummgebeugt und verlagerte das ganze Körpergewicht auf die Handschellen, während ich mit aller Gewalt zog. Die rechte Hand fühlte sich an, als würde sie sich etwas bewegen. Ich drehte den Daumen unter die Handfläche –

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