Die Frau im Kühlschrank
zur Stirn. Das Haar war kurzgeschnitten, fast glattrasiert. Der Oberkörper strotzte vor Proteinen. Er trug nicht Schwarz und Weiß an diesem Abend, aber es gab keinen Zweifel, daß er zu Ole Johnny gehörte.
»Hoppla, hoppla«, sagte er. »Unser Freund ist aufgewacht, Kalle.«
Erneute schwere Schritte durch den Raum: noch eine furchteinflößende Gestalt. »Er sieht nich so ganz fit aus.«
»Er wird noch schlimmer aussehen, wenn er Ärger macht.«
»Hörst du das, Schnüffler?«
Meine Stimme klang wie zerbröckelnder Kalkstein. »Ihr macht einen Fehler, Jungs.«
Kalle trat mir hart und wütend in die Seite. Ich wimmerte. Er sagte: »Halt die Schnauze. Halt bloß die Schnauze, Freundchen.«
»Dann frag mich auch nichts«, stöhnte ich.
Ein erneuter Tritt, nicht ganz so hart, eher ein Hinweis, wer hier die Oberhand hatte.
»Los komm, Jolle.«
Sie hoben mich hoch, als sei ich ein Sack schmutziger Wäsche. Die Decke über mir schaukelte, und ich spürte, daß mir schlecht wurde.
Sie trugen mich aus dem Wohnzimmer hinaus und eine schmale Treppe hinunter. Es roch kalt nach Keller. Vor einer Tür ließ Kalle meine Beine los. Jolle faßte hart um meine Oberarme.
Kalle schob einen schweren Eisenriegel zur Seite, zog einen Schlüssel hervor und schloß eine massive Holztür auf. Sie schwang mit quietschenden Scharnieren auf. Jolle ließ mich vornüber klappen und gab mir einen harten Tritt auf das Steißbein. Ein gleißender Schmerz jagte mein Rückgrat hinauf und verteilte sich wie ein Sprühregen in meinem Kopf. Ich taumelte blind nach vorn, stieß gegen eine Mauer und glitt hilflos daran herunter, bis mein Gesicht hart auf dem feuchten Kellerboden aufschlug.
Ich ahnte eine Bewegung neben mir, hörte das schwache Rascheln von Kleidern, einen fast unmerklichen Duft von Frau, bevor sie von mir weggezerrt wurde. Ihre Hand strich mir wie ein Hauch über den Nacken, und halb fragend, halb flehend hörte ich sie meinen Namen rufen: »Varg, oh …!«
Dann wurde sie von der hitzigen Stimme unterbrochen. »Du kommst mit uns, Kleine. Der Kumpel hier braucht Ruhe. Wir …«
»Wir haben Zeit. Und einen Haufen Energie«, fügte die schläfrige Stimme hinzu.
»Nimm die Finger weg von …« Mehr konnte sie nicht sagen, eine große Hand legte sich über ihren Mund, und sie wurde hinausgezerrt. Ich hörte, wie sie um sich schlug, aber sie war viel zu leicht, viel zu zart. Die Geräusche verschwanden durch den Flur.
Ich drehte mich unter schmerzhaftem Wimmern herum. Kalle stand da und wartete. Er beugte sich herunter und schob mich an der unebenen Mauer hoch. Er hielt mich aufrecht und stieß mich mit dem Rücken zweimal, dreimal, viermal gegen die Wand. »Versuch bloß keinen Scheiß, Schnüffler. Du bist hier sicherer aufgehoben als in Ullensmo. Hier, damit du besser schläfst.« Mit einer überraschend schnellen Bewegung ließ er mich los, mit beiden Händen zugleich, gab mir erst mit der linken, dann mit der rechten eine Ohrfeige und ließ mich auf dem Boden zusammensinken wie einen Sack Kartoffeln.
Die Tür knallte. Der Schlüssel wurde im Schloß herumgedreht und der schwere Riegel vorgeschoben. Dann hallten seine schweren Schritte durch den Flur. Erst jetzt hob ich den Kopf und sagte zur Tür: »Wie Groucho Marx zu sagen pflegte … Ich vergesse nie ein Gesicht, aber bei dir bin ich bereit, eine Ausnahme zu machen.«
Ich war zu alt, um Leute so etwas direkt ins Gesicht zu sagen, und Türen schlugen selten zurück.
31
Ich ertappte mich dabei, daß ich dalag und auf Geräusche horchte. Ich konnte es nicht lassen, an Elsa zu denken und daran, was sie jetzt mit ihr taten. Und wenn sie tausendmal davon lebte, sie tat es trotz allem freiwillig und nicht – wie jetzt. Ein paarmal hörte ich Geräusche: ein Stöhnen, einen lustvollen Ausruf, einen Knall auf den Boden. Aber es war keine Struktur zu erkennen, und es war unmöglich herauszufinden, wie weit sie im Programm gekommen waren.
Meine schmerzenden Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit. Ich lag auf dem Boden eines kleinen, fast quadratischen Kellerraums. Er war völlig leer: kein Schrank, kein Regal. Hoch oben in einer Wand war ein kleines Fenster. Auf der Innenseite des Fensters saß ein solider Rahmen mit starkem Drahtgitter. Auf der Außenseite erkannte ich die massiven Fensterläden, die ich vorher gesehen hatte. An der gegenüberliegenden Wand war die Tür.
Es war kalt und roch moderig, und ich fühlte, daß die Innenseite der Wände beschlagen war.
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