Die Frau im Kühlschrank
einen Blick zurück. Jolle war aus der Hütte gekommen, Kalle sah ich nicht.
Ich taumelte weiter. Ich war jetzt oben auf der Bergkuppe und atmete in schmerzhaften und gepreßten Zügen. Ein erneuter Blick nach hinten, und ich sah, daß Jolle die Verfolgung aufgenommen hatte. Das Blatt hatte sich gewendet. In der Hand hielt er die Waffe, die ich benutzt hatte. Die Klinge der Axt schimmerte matt.
Ich lief – oder tanzte – über die Felsen, so schnell ich konnte. Ich war leichter als er, und er hatte sicher größere Probleme, sich auf den Beinen zu halten als ich. Trotzdem sah es aus, als würde er aufholen.
Ich war jetzt oben auf dem steinigen Weg angelangt. Direkt vor mir sah ich den schwarzen Wagen. Ich war verdammt froh, daß ich die Reifen aufgeschlitzt hatte.
Der Mann hinter mir holte auf. Aber jetzt ging es bergab. Ich vergrößerte den Abstand.
Sie saß im Wagen. Die Tür auf der Fahrerseite stand offen. Sie beugte sich über das Lenkrad und winkte mich hinein.
Ich rang nach Luft. Auf dem Schotter hinter mir hörte ich schwere Schritte. Ich hechtete in den Wagen, suchte einen Augenblick lang nach dem Schlüssel. Dann hatte ich ihn. Kupplung treten, das Gaspedal, ein Blick in den Spiegel: da kam er, groß und dunkel und verhängnisvoll, eine tödliche Waffe in der Hand schwingend. Der Motor sprang an, und der Wagen machte einen Satz. Die Tür neben mir knallte zu.
Der Wagen schlingerte unnatürlich. Er schlitterte auf der glatten Fahrbahn, rutschte ein Stück seitwärts und drohte sich zu überschlagen. Dann bekam ich das Lenkrad in den Griff, und er lag wieder gerade auf der Straße. Ich fuhr ohne Licht und beugte mich dicht zur Windschutzscheibe, um den Wegrand deutlicher zu sehen. Die Räder griffen wieder, und wir schossen vorwärts. Ich schaltete und versuchte, die Beine unter Kontrolle zu bekommen. Das eine Knie fühlte sich an, als sei es steif. Der Straßenrand kam näher und näher. Dann bekam ich den Fuß hoch, ich steuerte nach links, der Straßenrand entfernte sich wieder. Im Spiegel wurde Jolle immer kleiner, bis wir aus der Kurve heraus waren, dann war er verschwunden.
Ich schaltete die Scheinwerfer ein, und wir rasten auf die Hauptstraße. Ich hielt mich an die äußerste rechte Seite der Fahrbahn und spürte, wie das gleichmäßige Dröhnen des Motors einen Rhythmus von Ruhe und Wohlbehagen durch meinen schmerzenden, angespannten Körper sandte. Die Straße vor mir verschwamm und flimmerte, als würde es regnen, aber es war kein Regen. Ich mußte an die Seite fahren und saß da, das Lenkrad umklammernd, und weinte zitternd. Elsa legte die Arme um mich und flüsterte etwas. Ein Lastwagen donnerte an uns vorbei. Ich versuchte vergeblich zu sprechen.
Schließlich war es vorbei, und wir fuhren weiter, in Richtung Stavanger. Hinter uns hatte der Himmel einen fast unmerklichen blaugrauen Ton angenommen, und die Sterne waren groß und funkelten wie ein Feuerwerk.
»Was machen wir jetzt?« fragte Elsa.
Ich zuckte mit den Achseln, ließ es aber augenblicklich wieder sein. Es tat weh.
35
Ich mußte erneut an die Seite fahren. Ich fühlte mich ungefähr so wie eine alte Frau in einer Konditorei in dem Moment, wo die gepuderte Maske platzt, sie mit der Hand in die Torte schlägt, daß die Sahne nur so spritzt, und den Kellner anschreit, daß sie ihn haßt, ihn haßt, ihn haßt. Elsa legte eine leichte Hand auf meinen Oberarm und sagte: »Hör zu, ich kenn ein Motel nicht weit von hier. Die – kennen mich. Ich glaub, wir brauchen einen Platz zum Schlafen …«
Ich nickte. Ich hatte meinen Teil getan. Ich war erledigt. »Ich kann fahren«, sagte sie, und ich war froh, jemand anderem die Initiative überlassen zu können.
Um die herabbaumelnden Handschellen zu verstecken, zog ich den Arm aus dem Jackenärmel und hielt ihn unter die Jacke, als hätte ich ihn gebrochen.
Sie holte einen Kamm aus ihrer Tasche. »Wir tauschen die Plätze«, sagte sie. Ich stieg aus und ging um den Wagen herum. Sie schwang sich auf den Fahrersitz. Die Luft war kalt und klar, der Himmel hatte schmale, orange Streifen ganz unten am Horizont im Osten. Als ich wieder saß, hatte sie ihre Haare gekämmt. Sie zog den Kamm auch in paarmal durch mein Haar. Dann kam ihr Gesicht näher, und sie küßte mich weich auf die Lippen. »Du hast mir das Leben gerettet, Varg. Wenn es auch nicht viel wert ist, trotzdem … Danke!«
Ich lächelte matt. Lob war etwas Ungewohntes. Ich wurde verlegen, und ich hatte nur einen Arm, den
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