Die Frau im Rueckspiegel
verwirrt. Sie hatte Rebecca doch nur ein bißchen Mut zugesprochen. »Macht ja nichts«, erwiderte sie mit leicht zitternder Stimme. »Gehen wir zurück?«
»Ich möchte gern einen Moment allein sein«, sagte Rebecca. Sie schien abwesend. »Ich muß nachdenken.«
»Ja sicher. Ich gehe ein paar Zeitungen kaufen.« Auch Christiane war es recht, einen Moment für sich zu sein. Außerdem mußte sie endlich Hanna anrufen, um Entwarnung zu geben. Na ja, Entwarnung war wohl nicht ganz das richtige Wort. Der heutige Morgen barg so viele Aufregungen in sich, jede einzelne von ihnen reichte aus, Christianes Herz schneller schlagen zu lassen. Jede einzelne und besonders die letzte. Was war da eben in Rebecca gefahren? Christiane zitterten immer noch die Knie.
Sie saßen beide im Schneidersitz, Rebecca auf ihrem Bett, Christiane auf der Liege, und durchkämmten den Blätterwald nach Artikeln über Rebeccas Geschichte.
»Die Fotos zeigen nur den Krankenwagen. Die Berichte nennen keinen vollen Namen. Damit kann Schwandte nichts anfangen. Der Schluß auf Sie wäre rein spekulativ«, meinte Christiane hoffnungsvoll.
»Rebecca R., Reedereiinhaberin und eine der vermögendsten Frauen Bremerhavens . . .«, las Rebecca laut vor. »Ich finde, da ist nicht sehr viel Raum für Spekulation.«
»Mag sein. Aber auf einen Zeitungsbericht hin kann Schwandte seinen Anspruch nicht aufbauen. Jeder kann heutzutage einen Bericht in der Zeitung lancieren«, warf Christiane ein.
»Das stimmt. Aber Marius benutzt die Presse nur als Aufhänger. Damit sein Anwalt den Anspruch anmeldet. Dann wird der Krankenhausbericht eingesehen.«
»Geht das so einfach? Bräuchte er dafür nicht einen richterlichen Beschluß oder so was? Nur weil er Anwalt ist, kann er doch nicht Ihre Daten einsehen.« Christiane nahm sich die nächste Zeitung vor. »Da gibt es doch so was wie Persönlichkeitsrecht und Datenschutz. Je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger glaube ich, daß Schwandte Erfolg mit seinem Unterfangen haben wird.«
»Ach, Christiane. Da sind das Zimmermädchen, die Sanitäter, die Ärzte. Alle werden das gleiche sagen. Und Sie wissen, was das sein wird«, dämpfte Rebecca deren Optimismus.
»Dann müssen wir eben Leute finden, die Ihre Version der Geschichte glaubhaft machen. Und – vielleicht sollten Sie sich doch mit einem Psychologen unterhalten.«
»Was?« Rebeccas Kopf hob sich abrupt. »Fallen Sie mir jetzt doch in den Rücken?«
»Für ein Gutachten, das Ihnen bestätigt, daß Sie keine Selbstmordabsichten haben und nie gehabt haben!«
Rebecca entknotete ihre Beine, lehnte sich bequem zurück. »Sagen Sie mal, Christiane, wie kommen Sie auf all das?«
Christiane blickte auf, griente. »Ich schaue fast jede Anwaltsserie im Fernsehen. Sollte Sie auch mal versuchen. Statt immer nur Börsenberichte auf n-tv.«
Rebecca griff in ihren Rücken, zog das Kissen hervor und warf es nach Christiane. Sie traf sie genau am Kopf.
»He!« beschwerte die sich, griff nach dem Wurfgeschoß und expedierte es treffsicher zurück.
Rebecca warf erneut. Diesmal traf sie allerdings nicht, erntete nur einen erneuten Treffer und ein freches Zungerausstrecken seitens Christiane. »Sie legen sich mit jemandem an, der mindestens zweimal pro Woche Zielwürfe übt. Das ist nicht sehr klug.«
»Und Sie sollten nicht so frech zu mir sein.« Rebecca nahm das Kissen, ging zur Liege, auf der Christiane saß, beugte sich vor und schubste Christiane, das Kissen als Schild benutzend, aus ihrer Sitzposition um. Als sie einfach auf dem Absatz kehrtmachen wollte, wurde sie jedoch von Christiane erneut mit dem Kissen attackiert. Diesmal traf es sie im Rücken.
Rebecca blieb stehen, drehte sich um, nahm das Kissen auf, ging zu Christiane, die gerade wieder ihre Sitzposition einnahm, und hockte sich vor sie. »Auch wenn mir ein paar Erinnerungen fehlen, bin ich mir sicher: Sie sind die aufmüpfigste Angestellte, die ich je hatte«, sagte sie kopfschüttelnd.
»Es scheint Ihnen aber zu gefallen«, erwiderte Christiane frech.
Stille.
Rebeccas Blick unergründlich.
Christianes Herz schnell schlagend. Genauso hatte Rebecca sie vorhin im Park angesehen, bevor sie sich küßten.
Spannung knisterte im Raum.
Dann stand Rebecca abrupt auf.
»Wir könnten doch eigentlich meinen Koffer heute noch aus dem Hotel holen, dann sparen wir morgen früh etwas Zeit«, sagte sie in viel zu beiläufigem Tonfall.
»Ja, sicher«, erwiderte Christiane, ihre Verwirrung niederkämpfend.
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