Die Frau im Rueckspiegel
genug. Das machten alle. Und wenn der anderen Seite mehrere, gleich gute Angebote vorlagen, konnte der Stil, mit dem man sich präsentierte, am Ende den Ausschlag geben, war das Zünglein an der Waage.
Was Stil anging, war Christiane Seidel ja wohl der totale Reinfall. Da waren ein paar deutliche Worte wirklich angebracht gewesen. Blieb nur zu hoffen, daß das Benehmen der Frau sich in Zukunft den Anforderungen an den Job anpaßte.
Natürlich war um die Zeit kein Parkplatz zu finden. Christiane stellte ihren Kombi zwei Nebenstraßen weiter ab. Beim Aussteigen fiel ihr auf, daß sie immer noch die Uniform trug.
Christiane seufzte. Diese Art Outfit war eindeutig ein Nachteil des Jobs, der ansonsten ziemlich leicht zu bewältigen schien.
Gott sei Dank ist schlechte Laune nicht ansteckend.
Denn Rebecca Reklin schien ja nun wirklich nicht gerade eine Frohnatur zu sein. Eigentlich schade, daß äußere Erscheinung und Charakter zueinander in solchem Gegensatz standen. Wohl eine natürliche Folge der Erziehung in diesen Villenvierteln. Wer dort wohnte, wurde kaum zu besonderer Bescheidenheit erzogen.
In ihrer kleinen Zweizimmerwohnung angekommen, ließ Christiane ihre Tasche einfach im Flur fallen und ging zielstrebig ins Wohnzimmer, wo der PC stand. Sie schaltete ihn an, wartete ungeduldig, während er hochfuhr.
Los, mach schon, du lahme Ente.
Nach drei endlosen Minuten war es endlich soweit. Ein Klick, und der Internetbrowser öffnete sich. Schnell tippte Christiane »Reklin Bremerhaven« in die Suchleiste. Gespannt überflog sie die Überschriften des Suchergebnisses, fand die entsprechende Homepage. Während Christiane durch die Seiten wanderte, wurden ihre Augen größer und größer. Die Reederei Reklin war eine Containerlinie, deren Flotte zweiundfünfzig Tanker und Containerschiffe umfaßte, mit denen circa zweihunderttausend Container in der ganzen Welt unterwegs waren. Reklin beschäftigte etwa dreitausend Mitarbeiter in sieben Ländern.
Ach du grüne Neune. Die Frau kennt garantiert keine Kommastellen.
Die Größe des Unternehmens machte Christiane klar, Rebecca Reklin konnte nicht die Gründerin, »nur« die Erbin sein. Gab es noch andere Reklins, oder lastete das ganze Paket der Verantwortung auf diesem einen Schulterpaar? Wie auch immer. Die Frau galt es wohl doch eher zu bemitleiden als zu beneiden.
Christiane wechselte von der Internetseite zum Mailprogramm. Eine Nachricht von Judith war in der Post. »Wo warst du heute?«
Christiane fluchte vor sich hin. Verdammt, das Basketballtraining! Sie hatte vergessen anzurufen. Uwe mochte es gar nicht, wenn man einfach so wegblieb. Das gab Ärger. Der Trainer brachte es fertig und schloß sie, nur als Disziplinarmaßnahme, vom Turnier am Wochenende aus.
Christiane rief ihre Freundin an.
»Wo warst du denn?« fiel Judith auch gleich über sie her. »Uwe ist sauer auf dich.«
»Mir ist heute was total Verrücktes passiert. Stell dir vor, ich habe einen neuen Job«, berichtete Christiane enthusiastisch.
»Ich hatte keine Ahnung, daß du mit dem alten unzufrieden warst.«
»War ich auch nicht.«
»Warum hast du dann einen neuen gesucht?«
»Habe ich ja nicht. Er wurde mir praktisch aufgedrängt.«
»Wie bitte? Wo gibt es denn so was?« fragte Judith ungläubig.
»Ich sage ja, es war verrückt. Ich sollte nur diese Uniform abliefern. Und ehe ich’s mich versah, stecke ich in ihr und gebe für diese unmögliche Frau die Chauffeurin.«
Judiths Neugier war geweckt. »Unmögliche Frau?«
Christiane überging die Bemerkung. »Dreitausend pro Monat für das Herumkutschieren in Luxusschlitten. Sollte ich da etwa ablehnen?«
Judith japste nach Luft. »Wie viel???«
»Du hast richtig gehört. Ich gehöre jetzt zu den Großverdienern.«
»Mit unregelmäßigen Arbeitszeiten.«
»Das ist ein Nachteil. Aber wie es sich anhörte, nicht der Regelfall.«
»Mann, hast du ein Glück«, schnaufte Judith. »Scheint der Hauptgewinn zu sein.«
»Ja. Aber wie bringe ich das Michael bei? Der wird wenig begeistert sein.«
»Na wenn schon. Er kann ja wohl kaum erwarten, daß du so ein Angebot ablehnst. Du arbeitest doch auf freiberuflicher Basis. Also bist du an keine Kündigungsfrist gebunden.«
»Aber unfair ist es schon. So von einem Tag zum nächsten wegzubleiben.«
»Wenn du krank wirst, ist es nichts anderes.«
»Das stimmt«, gab Christiane zu. »Und Chancen warten nicht auf einen. Entweder man greift zu, oder man verpaßt sie.«
»Genau«, bestätigte
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