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Die Frau im Tal

Die Frau im Tal

Titel: Die Frau im Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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sehe.«
    »Natürlich. Du bist ein Ritter für alle Frauen in Not. Du und Marianne, habt ihr nicht auch in der Trauer zueinandergefunden?«
    »Das war etwas anderes.«
    »Nein. Es war die Trauer über Anja, die euch zusammengebracht hat.«
    »Und was sollte uns nun zusammenbringen?«
    »Daß wir schon immer füreinander geschaffen waren, Dummchen.«
    »Aber du trauerst nicht um Marianne.«
    »Nein, ich kannte sie ja kaum. Ich trauere um Christian.«
    »Was ist mit ihm?«
    »Das mag ich dir nicht am Telefon erzählen. Er und die andern sind momentan im Sommerhaus am Skagerrak. Ich habe gesagt, ich müsse in die Stadt zu einer ärztlichen Untersuchung, und das trifft ja auch zu.«
    »Nimm die Tram um elf Uhr stadtauswärts. Ich warte auf dich an der Haltestelle Grini.«
    »Ich kann doch mit dem Auto fahren.«
    »Nein. Wir werden Wein trinken.«

    Als sie in Grini aus einem der alten Holzwaggons der Tram aussteigt, sehe ich, daß sie ungewohnt blaß ist, obwohl seit Wochen die Sonne scheint. Mit dem Rucksack geschultert warte ich auf sie. Sie küßt mich leicht auf die Wange. Wir starten sofort Richtung Fossum und Østervann.
    »Wie nett von dir«, sagt sie und nimmt meine Hand auf die mädchenhafte Weise, bei der ich schwach werde.
    »Was ist denn los da unten am Skagerrak?« frage ich.
    »Ich sagte es im Spaß, aber jetzt glaube ich fast, es ist ernst. Daß unser beider Leben verflucht ist, seit Marianne im letzten Sommer direkt vor unserem Sommerhaus kenterte.«
    »Man soll über Tote nicht schlecht reden.«
    Sie drückt rasch meine Hand.
    »Du verstehst doch immer noch Spaß, hoffe ich. Aber stell dir vor, wie es mir geht da unten an der Küste, mit Mutter und Vater, die schon vergessen haben, daß ich noch jung bin und daß ich Medizin studiere und Ärztin werdenwill. Sie fordern beinahe, daß Christian und ich ein Kind machen sollen.«
    »Und das versucht ihr doch sicher?«
    »Nein, was denkst du. Nicht so. Jedenfalls ich nicht. Wir testen natürlich die Art der Vorgehensweise. Das ist schließlich das Privileg der Jugend, oder? Aber wir streiten uns auch. Und dabei geht dann alles schief.«
    Ich frage nicht nach. Sie soll ihre Geschichte in ihrem eigenen Tempo erzählen. Hier auf diesem Weg habe ich mit Anja gesprochen, später mit Marianne, und beide fielen in Ohnmacht, Anja vor Schreck und Marianne aus Verzweiflung über ihre eigene Lebensgeschichte. Ich halte Ausschau nach einem Habicht am Himmel. Den gab es früher oft. Jetzt ist er unsichtbar. Nur weiße Wolken in der warmen Augustsonne. Rebecca hat die dünne Baumwolljacke ausgezogen und geht in einem weißen T-Shirt ohne BH. Die schmale, muskulöse Taille. Der aufrechte Rücken. Die winzigen Sommersprossen auf ihrer Haut, die man kaum sieht, wenn sie so blaß ist.
    »Es ist schon merkwürdig, Aksel, vor zwei, drei Jahren waren wir jung und dumm und glaubten, die Welt liege offen vor uns und wir hätten das Leben in unserer Hand. Jetzt bist du psychisch am Ende, und ich suche immer noch nach dem Glück, das ich so sehr beschworen habe.«
    »Du hast immer betont, daß ihr, du und Christian, rundum glücklich seid.«
    »Ich war fest davon überzeugt, daß das Glück etwas ist, das man will . Und wenn man es stark genug will, bekommt man es schließlich.«
    »Aber das hat bei dir nicht funktioniert?«
    »Nein. Ich bekam statt dessen einen Faustschlag direkt aufs Auge.«
    Glücklicherweise sind wir allein auf dem Weg. Alle sindjetzt am See beim Baden. Nur ein verliebtes Pärchen ist einige hundert Meter vor uns auf dem Anstieg zum Brunkollen zu sehen. Wir gehen langsam, um den Abstand noch zu vergrößern.
    »Was ist denn vorgefallen?« frage ich.
    »Er glaubt, daß ich dich heimlich treffe.«
    »Das tust du doch.«
    »Ja, aber wir machen nichts Schlimmes.«
    »Letzten Sommer schon.«
    »Nein, nicht richtig.«
    »Kommt darauf an, wie man es betrachtet.«
    »Ich hätte dabei nicht einmal schwanger werden können.«
    »Nein, insofern haben wir nichts Schlimmes gemacht.«
    »So habe ich es nicht gemeint.«
    »Wie dann?«
    »Daß er keinen Grund hat, eifersüchtig zu sein. Jedenfalls im Moment nicht. Ach, was rede ich. Beklage mich über einen kleinen Streit und einen Faustschlag, während du alles verloren hast.«
    Wir gehen wie zwei Geschwister auf dem Weg zur Schule, denke ich und halte ihre Hand fest in der meinen. Unschuldig wie Hänsel und Gretel mit ihren Brotkrumen.
    »Derartige Prüfungen lassen sich sowieso nicht auf eine Waagschale legen«, sage ich.

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