Die Frau im Tal
wollte.«
»Das ist dir geglückt.«
»Und das wollte ich nicht noch einmal machen.«
»Statt dessen hast du die Dämliche gemimt?«
»Genau. Aber du hast wunderbar gespielt.«
»Danke. Und dein Leben, was ist damit?«
»Ziemlich kompliziert. Anja hat etwas in mir zerstört, wie sie auch in dir etwas zerstörte. Du hast sie auf die romantische Art geliebt. Sie war die Einzige. Die Auserwählte. Für mich war sie nur jemand, den ich begehrte, dumm, wie ich war. Hast du nicht gemerkt, daß sie keinerlei Leidenschaft besaß? In ihr war alles tot, außer wenn sie am Klavier saß. Deshalb konnte sie gleichzeitig lesbisch und hetero sein, ohne zu merken, wie sehr sie uns beide verletzte. Diese Erfahrung hat etwas in mir getötet. Es gibt solche Menschen, die nicht anders können, als andere mit ihrem Unglück anzustecken. Diese Fähigkeit hatten alle in dieser kleinen Skoog-Familie. Bror, Anja und Marianne, alle drei haben ihre Umgebung stigmatisiert. Und du armer Kerl konntest dich dem nicht entziehen. Das konnte ich zwar schon, doch trotzdem hat sie mich fürs Leben gebrandmarkt. Alles, was ich später unternommen habe, ist mir komischerweise mißlungen. Als ich zu meiner großen Reise aufbrach, spürte ich bereits, daß es zu spät war, daß ich sozusagen physisch bereits infiziert war. Und von da an hatte ich jeden Tag das Gefühl, etwas Wesentliches versäumt zu haben.«
Ich halte ihre Hand in meiner. Es tut gut, mit ihr zu reden, fast wie in alten Tagen.
»Ich kenne dieses Gefühl«, sage ich. »Aber du bist in dem Moment verschwunden, in dem Marianne in mein Leben kam.«
»Und du hast sicher nicht gedacht, daß dir ein neues Drama bevorstand? Was ist bloß mit uns beiden, Aksel? Manche gehen durchs Leben, ohne jemals Trauer und Verlust zu erfahren, ohne überhaupt etwas Dramatisches zuerleben. Wir erlebten, daß Mutter im Wasserfall ertrank, und danach, das ist die reine Hölle gewesen. Denkst du nicht auch so?«
»Doch«, nicke ich. »Wenn du es sagst.«
»Inzwischen klammere ich mich an die kleinen und übersichtlichen Werktage. Ich wohne in einer kleinen Bude in der Stadt, in Grünerløkka und komme mit ganz wenig aus, so wie ich es immer gemacht habe.«
»Und die Liebe?«
Sie errötet. »Ich habe jemanden im Visier. Aber die Konkurrenz ist hart, wenn man auf diesem Gebiet konkurriert.«
Ich überlege, ob ich ihr anbieten soll, bei mir zu wohnen, solange ich noch im Skoog-Haus zu bestimmen habe. Aber ich kann mich nicht entschließen. Schaffe es nicht. Sie ist meine Schwester, doch ich habe immer gemerkt, daß sich um uns beide eine negative Aura bildet, wenn wir uns treffen. Wir sind viel geschickter darin, einander zu vermissen.
»Und wie steht es bei dir, Aksel?« fragt sie.
Was soll ich sagen? Daß ich mir keinen Rat weiß.
Ich stottere und stammle.
»Wir können über all das später reden«, sagt sie und streichelt meine Wange. »Ich muß jetzt wieder hinter die Theke.«
Ich gleite zurück in den Hauptraum. Alle gleiten oder fließen an diesem Tag im Juni 1971, dem Tag, an dem Marianne begraben wurde, an dem ich ins Leben zurückkehrte, an dem ich Sigrun zum erstenmal traf. Was sagte sie beim Abschied zu mir?
Du mußt uns im Pasvikdalen besuchen, wenn du in Nordnorwegen auf Tournee bist. Versprichst du das?
Das klang wie ein Traum, dachte ich.Ich muß allein sein, auch wenn ich es nicht ertrage, allein zu sein. Es gibt keinen anderen Weg. Aber Cathrine, Gabriel und Jeanette weigern sich, mich allein schlafen zu lassen. Sie wollen mich nach Hause bringen, wollen bei mir bleiben und auf mich aufpassen. Gabriel muß Cathrine erzählt haben, was ich vergangenen Sonntag versuchte. Sie sehen an meinen Augen, daß die Pupillen groß sind, daß meine Ruhe aufgesetzt ist, daß es da, wo ich wohne, Tabletten gibt.
Wir stehen beim Ausgang. Sie meinen es gut, aber ich werde zornig über ihre Beschützerei.
»Die letzte Straßenbahn geht in fünf Minuten. Ich muß los.«
Sie stehen da und schauen mir nach. Auch sie sind zornig. Aber ich bin schließlich nicht ihr Patient. Meine kleine Welt ist so, wie sie ist, groß genug.
Mutterseelenallein sitze ich in der Tram. Wo sind all die anderen Passagiere geblieben? Ich kann mir das Leben, das vor mir liegt, nicht vorstellen. Ich werde mit W. Gude reden müssen und mit Selma Lynge. Irgendwo muß ich wieder anfangen.
Allein im Elvevaret
Als die Haustür im Skoog-Haus hinter mir ins Schloß fällt, ist es fast zwei Uhr. Ich stutze. Habe ich Angst in
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