Die Frau im Tal
sich danach bei seinem Psychiater bedankte?«
»Nicolai Dahl? Ja genau.«
»Weißt du eigentlich, was Professor Dahl zu dem Komponisten gesagt hat?«
»Nein.«
»Er sagte, daß man sich selbst lieben muß, ein Minimum an Selbstachtung haben muß, um kreativ sein zu können.«
»Davon bin ich überzeugt.«
»Er sagte das, nachdem Rachmaninow von seinen Kritikern verrissen worden war, sowohl für die erste Sinfonie wie für das Klavierkonzert. Ist das nicht merkwürdig, die Kritiker können sein wie Jäger. Sie mögen keine ungezielten Schüsse. Wenn sie schießen, wollen sie ihre Beute erlegen.«
»Bislang sind die Kritiker schonend mit mir verfahren.«
Säffle nickt. »Das ist mir längst aufgefallen. Die Weltder Kunst ist nicht sehr verschieden von unserer Arbeit. Es gibt Leute, die immer verstanden werden, die immer Applaus erhalten, egal, was sie machen. Selbst wenn sie mittelmäßig sind, erhalten sie Preise und Ruhm. Und dann gibt es all die anderen, die ständig auf Widerstand stoßen, auch wenn sie gute Ideen haben. Die nie ernst genommen werden, egal, was sie versuchen. Das ist die Mehrheit. Es sind die, die allmählich im Nebel der Mittelmäßigkeit verschwinden, obwohl sie vielleicht zu etwas Größerem ausersehen waren. Es handelt sich dabei um so etwas Undefinierbares wie Glück und persönliche Ausstrahlung. Das Glück liegt darin, daß die richtigen Kritiker in deinem Konzert auftauchen und verstehen, was du vermitteln willst. Die persönliche Ausstrahlung ist noch weniger faßbar. Das kann sich um etwas so Einfaches wie den Klang des Künstlernamens handeln. Oder die Frisur. Oder das Alter. Du wirst es sicher weit bringen, weil du Autorität ausstrahlst, ohne damit zu prahlen. Vielleicht hat Marianne dich deshalb erwachsener erlebt, als du eigentlich bist. Es geschieht nicht oft, daß eine Frau von über dreißig Jahren einen Neunzehnjährigen heiratet.«
Von Gudvin Säffle gehe ich direkt in den Club 7. Auf dem Podium ist Gabriel mit dem Njål Berger Trio. Urban Schiødt am Schlagzeug. Njål Berger am Piano. Gabriel hängt zurückgelehnt auf seinem Stuhl und spielt mit dem Bogen Flageoletts, während Njål Berger mit dem Kopf halb im Flügel steckt und wie mit der Maurerkelle auf die Tasten drischt. Urban Schiødt benutzt Topfdeckel als Becken. Das ist Avantgarde-Musik. Ich treibe mich in den dunklen Kellerräumen des Club 7 herum, während in Oslo langsam das Quecksilber fällt und den Herbst anzeigt. Die Schulferien sind zu Ende, und viele sind auf der Heimreisevon ihren Sommerhäusern. Rebecca ist nach ihrem kurzen Besuch wieder an die Südküste gefahren. Sie und Christian sind immer noch in ihrem Sommerhaus. Einmal hat sie mich heimlich angerufen und gesagt, es sei wieder alles in Ordnung. Auf ihre leichte und altkluge Art hat sie sich um mich gesorgt. Obwohl sie es diesmal unterließ, mir zu erzählen, wieviel Sex sie mit Christian hatte, beteuerte sie, daß sie mich vermisse.
Cathrine steht hinter der Bar und hält Augenkontakt mit mir. Es ist ein gutes Gefühl, wieder unter Menschen zu sein. Was soll ich mit all der Einsamkeit. Die Toten leben weiter, mit ihrem Tod. Die Trauer ist nicht schön. Sie macht mich wütend. Ich komme nicht davon los. Welche Gedanken waren so wichtig allein daheim im Zimmer? Wo ich Rachmaninow spielte, wieder und immer wieder.
Jeanette ist nicht da. Sie probt heute abend »Hedda Gabler«. Gabriel führt Regie hier im Club 7. Er will mir seine Musik vorführen, meint, daß sie mir helfen kann, wenn ich so abwesend bin. Dabei nickt er ständig, und alles, was er sagt, ist wie die Bestätigung unabänderlicher Wahrheiten.
Es sind kaum Leute im Lokal. Die Welt hat das Njål Berger Trio noch nicht entdeckt. Gabriel spielt Flageoletts. Urban Schiødt schließt zwischen seinen Becken die Augen. Njål Berger spielt weich und atonal auf dem Piano. Es verblüfft mich, zu hören, wie wenig Technik er hat. Und trotzdem klingt es toll. Eine besondere Oktavtechnik, die sich in lose Ornamente auflöst. Ein plötzlicher starker Zeigefinger. Einige Quartakkorde. Das ist Jazz, wenn auch weit entfernt von New Orleans. Ich lasse mich trotzdem nicht mitreißen. Da kündigt Gabriel an, daß das Trio ein Stück speziell für einen Freund spielen wird, der an diesem Abend zugegen ist.
»›Ida Lupino‹ von Carla Bley«, sagt er.
Eine nette Geste von ihm, denke ich. Das wäre nicht nötig gewesen.
Die einfachen G-Dur-Motive erinnern mich an »Elven«. Vielleicht habe ich
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