Die Frau im Tal
war. Er war ein hilfloser Akademiker, eingenommen von der hohen Meinung, die er von sich hatte, eingenommen vom Klang seiner Stimme, von der Größe seiner Ideen. Aus dem von ihm geplanten Konzert wurde nie etwas.«
»Und welchen Rat gibst du mir nun?«
»Dort weiterzumachen, wo du aufgehört hast. Hast du ›Elven‹ schon vergessen?«
»›Elven‹ ist nicht gut genug.«
»Dann verbessere es! Du weißt selbst am besten, wie du das anstellst.«
Jeanette ist verärgert. »So kannst du nicht mit Aksel reden, Gabriel!«
Aber es macht mir nichts. Ich habe eine Hülle aus Valium um mich. Ich bin schwach und unsicher. Ich wage kaum, den Mund aufzumachen. Jemand schlägt ein Nachspiel vor. Wer hat eine sturmfreie Bude? Ich habe ein leeres Haus. Alle kommen mit zu mir. Gabriel will es so. Ich bewohne ein großes Haus mit vielen Zimmern. Es dürfe nicht länger ein Totenhaus sein, sagt Gabriel und deutet mit dem Finger auf mich.
Ich lasse es zu, kann mich nicht wehren, habe keinen eigenen Willen mehr. Keinen kümmert es, was im Skoog-Haus los ist. Ich kann Gabriel Holst und seine Clique genausogut in den Elvefaret einladen. Das spielt weder für Marianne noch für mich eine Rolle.
Sie kommen zu mir nach Hause. Njål Bergers Trio mit Anhang, Cathrine mit Elsie, einer geheimnisvollen, hübschen Freundin, die größte Frau, die ich je gesehen habe, die sich bücken muß, wenn sie Cathrine rasch auf den Mund küßt, und die als Nachtportier in einem der berüchtigtsten Hotels Oslos arbeitet.
Was wollen sie bei mir? denke ich. Sind sie neugierig, wie das Haus des Todes aussieht? Wollen sie billigen Alkohol? Nein, wenn ich sie mir betrachte zu dieser späten Stunde, stelle ich fest, daß sie vor allem feiern wollen. Sie pfeifen auf die Vergangenheit. Sie brauchen einen Ort, wo sie sitzen, reden und trinken können. Sie wollen über das Konzert des Trios heute abend reden, als sei es einWeltereignis gewesen, sie wollen hören, was Jeanette über ihre Proben an der Schauspielschule zu erzählen hat, sie wollen Schallplatten spielen und die Aschenbecher mit Kippen füllen. Aber ab und zu werfen mir Jeanette und Gabriel prüfende Blicke zu. Sie sind meine Freunde, vor allem, weil mir Gabriel das Leben gerettet hat. Ich bin momentan nicht imstande, ihre enthusiastische Art, auf das Leben zuzugehen, zu teilen. Für sie ist alles interessant, ist alles möglich. So sieht es in meinem Kopf nicht aus. An diesem Abend sehe ich, daß Gabriel zuviel trinkt. Mit jedem Glas wird er unverständlicher. Er redet mit den Jungs seines Trios, belehrt sie, etwas hätten sie anders spielen sollen, die Kommunikation zwischen Pianist und Schlagzeuger war falsch. Auch die Frauen im Zimmer unterhalten sich jetzt. Eine Schauspielerin, eine Kunsthandwerkerin, eine Übersetzerin. Ich bin nicht in der Lage, den Gesprächen zu folgen. Meine Konzentrationsfähigkeit hat nachgelassen. Ich habe das schon seit Wochen festgestellt. Ich merke es, wenn ich Klavier spiele, wenn ich im Erlengebüsch sitze, wenn ich mich hinlege zum Schlafen. Ich denke nicht mehr wie früher.
Ich höre meinen Gästen zu, ohne sie zu hören. Ich sehe, daß sie Mariannes Wein und Brors Schnaps trinken, all die Flaschen, die ich im Sommer nicht getrunken habe, die ich intuitiv für gefährlich hielt.
In diesem Moment fällt meine Entscheidung, kommt meine verrückte Idee.
Ich sage nichts zu Cathrine, die sich plötzlich von Elsies verlangenden Küssen löst und sich neben mich auf einen der Corbusier-Stühle setzt. Besorgt schaut sie mich mit Pupillen an, die ebenso groß sind wie meine. Sie streift meinen Arm, will mit mir anstoßen, literweise Rotwein.
»Hier sind wir also«, sagt sie mit einem traurigen Lachen.
»Wie hier?«
»Hier im Leben, was sonst.«
Ich nicke, verstehe, was sie meint. Sie war Schülerin in der Kathedralschule und hat abgebrochen, hat eine heimliche Beziehung zu einem verheirateten Professor angefangen.
»Warum haben wir beide einen Hang dazu, uns mit Menschen einzulassen, die viel älter sind als wir?«
»Weil sie Autorität haben. Wir glauben das jedenfalls. Wir sind ja noch so jung, Aksel. Wir wissen noch gar nicht, was das Leben bringen wird. Ein Guru in Kerala drückte es so aus: ›Wir sehnen uns nach Kontrolle, deshalb lassen wir uns von anderen kontrollieren.‹ Kannst du nicht einfach den Gedanken zulassen, daß dir Marianne die Freiheit geben wollte? Daß ihre Tat selbstlos war? Sie wußte, wie schwierig dein Leben werden würde zusammen
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