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Die Frau im Tal

Die Frau im Tal

Titel: Die Frau im Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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mit ihr, wenn du dich um sie kümmern mußt. Jetzt brauchst du vor niemand anderem Angst haben als vor dir selbst. So ist es auch bei mir. Elsie ist wichtig, aber nicht so wichtig. Es war befreiend, sich abzusetzen.«
    »Von wem hast du dich abgesetzt?«
    »Von all den kranken Menschen mit ihren hohen Ambitionen. Von denen, die Gott spielen wollen, weil ihnen nichts Besseres einfällt.«
    »War dein Professor so einer?«
    »Ja, und Anja war auch ein bißchen so, oder nicht? Sie versteckte sich hinter ihrer Kunst. Was sie ausdrückte, war nie sie selbst.«
    »Was hat es dir gebracht, abzuhauen? Was hat dir deine lange Reise gebracht?«
    »Daß die Ambitionen immer für die anderen sind.«Später liege ich im Bett in Anjas Zimmer und höre Gabriel und Jeanette, die sich im ehemaligen Schlafzimmer von Marianne und Bror lieben. Die andern feiern unten im Wohnzimmer weiter, sie haben das Skoog-Haus für eine Nacht okkupiert, wollen die Flaschen leeren. Ich liege im Bett und höre Laute, die deutliche Erinnerungen hervorrufen. Aber es ist das Begehren von anderen, nicht meines. Es ist Jeanettes keuchender Atem, nicht der von Marianne. Sie sind lieb zueinander. Ich lege mir das Kissen auf den Kopf.
    Der verrückte Einfall.
    Nach dem Gespräch mit Cathrine bin ich noch mehr überzeugt.
Bei Selma Lynge
    Selma Lynge ist wieder in ihrem Haus im Sandbunnveien. Schon bevor sie in die Sommerferien gefahren ist, hatten wir verabredet, uns danach zu treffen.
    Diesmal nehme ich die Straßenbahn, riskiere nicht mehr, über den Fluß zu balancieren. Wieder einmal September, einst die Zeit leidenschaftlicher Begeisterung. Die großen Ereignisse des Herbstes. Die Klavierwettbewerbe. Die Debütkonzerte. Erwartungen anderer, die erfüllt werden mußten. Pläne von anderen. Jetzt habe ich meine eigenen. Niemand darf davon erfahren. Nicht Selma Lynge und nicht W. Gude. Ich muß sie auf meine raffinierte Art überlisten. Ich werde mich aus dem Staub machen, ohne daß sie es merken. Ich werde meine Verpflichtungen einhalten. Ich muß dazu stehen, ohne mein eigenes Projekt aus den Augen zu verlieren. Ich muß langfristig denken und mich nicht beirren lassen. Ich werde eine völlig neue Arena fürmein Leben finden. Es wird mir gelingen. Weil ich Zeit habe. Weil ich alle Zeit der Welt habe. Weil die Trauer eines Tages aufhört. Weil ich niemandem von meinem Plan erzählen werde. Sie würden mich sonst für verrückt halten. Aber ich bin nicht verrückt. Der Zufall hat sein Spiel mit mir getrieben. Aber dann war es doch kein Zufall. Es war nur konsequent. Präzise. Unvermeidlich.

    Wie gewöhnlich empfängt mich Torfinn Lynge. Der weltberühmte Professor, der über alles Tragische kichert und lacht, empfängt mich jetzt wie einen engen Freund, fast wie einen Blutsbruder, so wie er mich umarmt und mir kräftig auf die Schulter klopft.
    »Mein Junge«, sagt er. »Schön, dich gesund und munter zu sehen, nach allem, was passiert ist.«
    Ich murmle etwas.
    »Als hättest du in einer Katastrophen-Tombola gewonnen«, sagt er und bittet mich in den Flur. »Du hast den ersten Preis bekommen. Fragt sich nur, was du damit machen willst. Hast du darüber nachgedacht?«
    »Ich habe nichts anderes gemacht«, sage ich. »Und jetzt habe ich einen Plan.«
    »Gut. Sicher wirst du darüber mit Selma reden wollen.«
    Ich nicke, und der Professor schiebt mich ins Wohnzimmer. Ich habe Torfinn Lynge noch nie gefragt, wie es ihm geht. Vielleicht ist es besser so.

    Selma Lynge steht sofort auf, als sie mich sieht. Die Katze liegt wie immer an ihrem Platz. Alles könnte sein wie immer. Aber Selma Lynge spürt den Ernst, als sie mich umarmt und danach mit beiden Händen von sich weg hält, um so rasch wie möglich herauszufinden, in welcher Verfassung ich bin.
    »Wie geht es dir?« sagt sie und bedeutet mir, mich zu setzen.
    »Das Leben geht weiter«, sage ich und spüre, wie die Übelkeit in mir aufsteigt.
    Sie schüttelt irritiert den Kopf. »Erspare mir derartige Floskeln. Sie passen nicht zu dir.«
    »Entschuldigung«, sage ich und denke: Ich muß ihr etwas Glaubhaftes anbieten. Mir bleibt nichts anderes übrig.
    »Du mußt dich auch nicht entschuldigen«, sagt sie mit einer abwehrenden Handbewegung.
    »Was willst du hören?«
    »Daß es eine Hölle gewesen ist. Daß du noch nicht begriffen hast, wie labil du bist. Daß du in bestimmten Augenblicken überlegt hast, dich umzubringen. Daß du es nicht gemacht hast. Daß du bei mir bist, weil du trotz allem dein Leben

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