Die Frau im Tal
jetzt etwas Falsches? denke ich. Würde Marianne mich kritisieren? Nein, sie wußte nur zu genau, daß sie zuviel trank. Sie kam auch nicht ohne Alkohol zurecht.
»Wir beginnen mit den Getränken«, sage ich und spüre einen starken Sog.
»Bitte schön, die Weinkarte«, sagt der Ober höflich.
Ich werfe einen Blick auf all die süßen, deutschen Weine. Dann sehe ich einen brauchbaren, knochentrockenen Muscadet. Ein guter Einstieg, denke ich. Das habe ich von Marianne gelernt. Les Mesnils. Ich deute.
» Les Mesnilis «, sagt er.
»Richtig«, sage ich. »›Le Menill‹«.
Er nickt, jetzt etwas nervös.
»Eine ganze Flasche?« fragt er vorsichtig.
»Natürlich«, sage ich mit meinem heitersten Lächeln. Es ärgert mich, daß ich ihn korrigiert habe. Er kann nicht viel älter sein als ich. Vielleicht sind er und die Kleine an der Rezeption miteinander verlobt, denke ich. Zwei glückliche Täubchen, die bereits ihren Platz im Leben gefunden haben.
»Und was möchten der Herr speisen?« fragt der Ober.
Ich mag nicht, daß er mich so anredet. Dieser katzbukkelnde Ton paßt nicht zu ihm. Aber da sehe ich, daß sechs vornehm gekleidete Herren das Lokal betreten, und ich verstehe, wen er zu bedienen gewohnt ist. Er wird noch nervöser und will die Bestellung hinter sich bringen.
»Chateaubriand?« schlägt er vor. »Tournedos? Filet Mignon?«
»Norwegisches Rentier«, sage ich.
»Finnenbeefsteak, bitte schön«, sagt er mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Und bei diesem Gang gehen wir zu Rotwein über. Was ist euer bester?«
»Patriarch, mein Herr.«
»Natürlich nehmen wir Patriarch«, nicke ich. »Und denken Sie daran, eine ganze Flasche.«
Der Ober notiert alles auf seinem Block. Dann eilt er der Gruppe entgegen. Sie setzen sich zum Glück an einen Tisch am anderen Ende des Raumes. Trotzdem kann ich verstehen, daß jeder einen Aperitif bestellt. Manhattan, Gin Tonic und Bloody Mary. Ich rufe sofort dem Ober auf dem Weg zur Küche hinterher.
»Auch für mich eine Bloody Mary!«
»Sehr gerne, mein Herr!« ruft der Ober zurück.
Einer der Herren an dem Sechsertisch dreht sich um und mustert mich. Es ist Gunnar Høegh.Als die Flasche Weißwein halb geleert ist und das Rentierbeefsteak noch nicht auf dem Tisch steht, denke ich, daß ich mich ärgere über diesen Høegh, der in mein Leben getreten ist und heute abend im gleichen Lokal speist. Er stört meine Gedanken. Früher oder später wird er zu mir kommen. Davon bin ich überzeugt. Natürlich, da ist er schon, geht mit der Zigarre in der Hand quer durch den Raum. Er hat seit seiner Ankunft kräftig dem Rotwein zugesprochen, aber er betrachtet besorgt meine Flaschen, die unübersehbar meinen Tisch beherrschen.
»Ich dachte, das andere Hotel sei das bessere?« sage ich so freundlich ich kann.
»Unser Klub ist am besten«, sagt er. »Wir gehen nur der Abwechslung halber hierher.«
»Abwechslung ist wichtig«, nicke ich. »Veränderung macht Freude.«
»Ich bin mit W. Gude befreundet«, sagt er mit einer traurigen Falte im Mundwinkel. »Mich verbindet außerdem eine jahrelange Freundschaft mit Selma Lynge. Ich war auf deinem Debütkonzert.«
»Und?«
»Meinst du, es ist richtig, was du gerade im Moment machst?« fragt er mit einem Blick auf die Flaschen.
»Im Moment trinke ich Wein«, sage ich.
Er setzt sich, ohne zu fragen. Ich bin zu jung, denke ich. Ich muß schnellstmöglich älter werden.
»Es gibt viele, die sich Sorgen machen deinetwegen«, sagt er.
»Dazu haben sie keinen Grund«, erwidere ich.
»Du hast heute abend kein Konzert?«
»Nein, erst morgen.«
»Wo?«
»In Pasvikdalen.«
»In der Internatsschule? Ein schöner Ort. Rektor Sørensen tut alles, was in seiner Macht steht, um die Musik zu pflegen.«
»Ja, was wären wir ohne die Rektoren«, sage ich.
»Warum bist du nicht direkt dorthin gefahren?«
»Ich will Kirkenes als Stützpunkt haben. Hier werde ich Rachmaninows zweites Klavierkonzert einüben.«
» Hier ?« Gunnar Høegh schaut mich verständnislos an.
»Ja, ich dachte, Kirkenes könnte ein passender Ort sein.«
»Du solltest vielleicht nicht beide Flaschen heute abend austrinken?«
»Ach so. Les Mensnils und Patriarch. Und es ist noch mehr geplant.«
»Das ist sehr bedauerlich …«
»Und ich freue mich auf die guten Weine, von denen Sie, Herr Høegh, gesprochen haben. Als besondere Zugabe Ihres großzügigen Honorars wird dieser Wein sicher vortrefflich munden. Ihr Klub hat vielleicht sogar noch einen exquisiten
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