Die Frau im Tal
anders hier oben im Norden«, mischt sich Gunnar Høegh ein.
»Wenige Menschen, weite Landschaften«, sage ich.
»Schön ausgedrückt«, sagt er.
Ich fühle mich müde, bin aber erwartungsvoll, als wir die Treppe zu Sigruns Wohnung hinaufsteigen. Gleichzeitig bin ich verwirrt. Das, was zwischen Sigrun und mir abläuft, erinnert mich an die ersten Tage mit Marianne im Skoog-Haus. Wir versuchten uns gegenseitig zu orten, auch wennwir das nicht wollten. Und jetzt sehe ich sie zusammen mit Gunnar Høegh. Da wirkt sie anders, gehetzt.
Als sie aufschließen will, öffnet sich die Tür.
Es ist Eirik Kjosen, in Islandpullover und Jeans. Er benimmt sich wie zu Hause, lächelt uns entgegen.
»Hei!« sagt er.
»Eirik!« Sigrun zeigt kein Erschrecken über seine Anwesenheit, nur hektische Freude.
»Wie schön, dich zu sehen, Eirik!« sagt Gunnar Høegh aufrichtig. Die beiden Männer umarmen einander wie alte Freunde.
»Und Aksel ist zurück!« sagt Eirik und umarmt auch mich. »Willkommen daheim!«
»Danke«, sage ich.
Es herrscht eine angespannte Stimmung im Zimmer. Die Karte stimmt nicht mit dem Gelände überein. Nichts ist so, wie ich es erwartete. Sigrun, Eirik und Gunnar Høegh haben schon öfter zusammen gefeiert, das ist offensichtlich. Mit Gunnar Høegh vollzieht sich eine deutliche Veränderung, als er das Jackett ablegt, über einen Stuhl wirft und mit den mitgebrachten Flaschen zum Kühlschrank geht.
»Jetzt kann das eigentliche Fest steigen!« sagt er.
»Was war los?« fragt Sigrun mit Blick auf Eirik, während sie Gläser für uns holt.
»Zuviel Schnee«, sagt Eirik. Er tätschelt seiner Frau zärtlich die Schulter, als wolle er sie beruhigen. »Wir hatten keine Skier mitgenommen. Der Schnee kam überraschend. Ich habe die Tour abgebrochen und den Schülern für das Wochenende freigegeben. Sie fanden das in Ordnung, obwohl sie gerne im Lavvo übernachtet hätten. Das nächste Mal kommst du ja vielleicht mit, Aksel?«
»Gerne«, sage ich.
»Da dachte ich, wenn ich schon beim großen Fest nicht dabeisein konnte, reicht es wenigstens für die Nachfeier. Sigrun und ich haben uns in den letzten Wochen kaum gesehen.«
»Das ist praktisch mit dieser Wohnung in Kirkenes«, sagt Sigrun.
Gunnar Høegh steht mit einer Flasche Wein mitten im Zimmer, will uns einschenken.
»Nein danke«, sagt Eirik. »Ich bleibe heute beim Wasser.«
Sigrun steht bei den Schallplatten.
»Was wollen wir hören? Mozart? Rachmaninow? Die Beatles?«
»Wie schön, einander in der Musik zu finden«, sage ich.
»Ist das erstaunlich?« fragt Eirik.
»Vielleicht. In all den Jahren habe ich mich mit meiner Musik als Sonderling gefühlt, abseits von der Gesellschaft.«
»Das kann ich verstehen«, sagt Gunnar Høegh. »W. Gude hat mir einiges erzählt darüber, was er im Laufe seiner Zeit als Impresario erlebt hat. Nicht zuletzt über den Druck, den die Musik auf die jungen Künstler ausübt. Sigrun kennt das ja, mit einer Nichte, die …«
»Kein Wort über Anja«, sagt Sigrun scharf.
»Entschuldige.«
»Ich wußte nicht, daß die Musik eine solche Reichweite hat«, sage ich aufrichtig. »Ich lebte ja ziemlich isoliert.«
»Hat die Begegnung mit unserem Landesteil deine Perspektive verändert?« fragt Gunnar Høegh interessiert.
»Ja. Hier wagt man, sich und seine Begeisterung offen zu zeigen. Das geschieht in Oslo nicht so leicht.«
»Ich fragte, was wir hören wollen«, sagt Sigrun und dreht die Augen gen Himmel.
»Aksel entscheidet«, sagt Gunnar Høegh freundlich.
O weh, denke ich. Was paßt zu dieser Séance? Ich komme mir vor wie in einem Theaterstück, als würde ich auf der Bühne stehen und müßte eine Rolle spielen, die ich noch nicht gelernt habe. Ich kenne nicht einmal den Schluß des Stückes. Ist es eine Komödie? Oder eine Tragödie? Ist es ein Aufklärungsstück? Sind wir mitten in einer modernen Version von Ibsens Peer Gynt ? Oder spielen wir Strindbergs Gespenstersonate ? Es sind Spannungen in der Luft. Unsichtbares Nordlicht. Flackernde Blicke, die einen festen Punkt suchen. Eirik sitzt scheinbar glücklich und entspannt auf der Couch. Er trinkt eifrig sein Wasser. Ich habe mich abwartend auf einen der Korbstühle gesetzt. Sigrun und Gunnar Høegh führen Regie. Die ist strenger, als Eirik und ich zugeben wollen.
»Spiel eine Musik, bei der man sich unterhalten kann«, sage ich.
Sie legt die Nocturnes von Chopin auf.
»Wie war das große Fest?« fragt Eirik Kjosen.
»Bestens«, sagt Gunnar
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