Die Frau im Tal
es unmöglich, etwas so Außergewöhnliches zu spielen, wie es Gunnar Høegh dem Publikum ankündigt, wenn er aus den Zeitungen der Hauptstadt die Besprechungen meines Debütkonzertes zitiert. Musikalisch gesehen bin ich ein Mann, der die Welt retten soll. »Und ihr werdet gleich hören, mit welch magischer Kraft er unseren phantastischen neuen Flügel, auf den wir so stolz sind, traktiert!«
Ich sinke zusammen an meinem Platz an der Tafel, habe noch keine Ahnung, welche Eröffnung ich wählen soll. Im übrigen habe ich noch nie einen Flügel traktiert, denke ich verärgert. Ich habe nur darauf gespielt.
Aber ich erhebe mich, als der Applaus ertönt, und mir fällt plötzlich Selma Lynges kleiner Vortrag ein über die Körpersprache des Pianisten auf dem Weg zum Podium. Was strahle ich jetzt aus, etwas unsicher auf den Beinen und widerwillig, wie habe ich mich nur in diese Situation bringen können, wie ein Soldat auf dem Weg in den Kampf, von dem er weiß, daß er ihn verliert. Aber ich habe ja nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, denn ich muß für ein müdes, betrunkenes und doch halbwegserwartungsvolles Publikum spielen. Nun gut. Ich bin selbst müde und betrunken. Ich habe die Körpersprache eines Nilpferdes. Ich starte mit Prokofjew, die kleine Sonate in C-Dur. Die dritte, die er schrieb, atonal genug um die Patzer zu vertuschen, abgesehen von dem bestechend schönen Nebenthema, eine Melodie, so lyrisch und klar, wie ich es jetzt gerne sein würde.
Ich verbeuge mich. Die Selbstsicherheit, die ich bis jetzt hatte, ist wie weggeblasen. Dort unten im Saal sitzen Sigrun und Rebecca. Keine von ihnen war auf meinem Debütkonzert. Keine von ihnen weiß, was ich leisten kann, wenn ich in Topform bin. Ich fange an und merke bereits bei der Eröffnung, daß der Flügel auf die erforderliche Schärfe der E-Dur-Dreiklänge nicht reagiert. Es klingt, als würde ich auf einer Wattedecke spielen. Daran ist nicht der Flügel schuld. Wenn niemand ihn einspielen durfte, klingt er so. Ich spiele hart, ohne daß es wirkt, und merke, daß die Muskeln steif werden, weil ich mich nicht aufgewärmt habe, weil mich der Wein kraftlos und gleichgültig gemacht hat. Und als ich zu dem an Rachmaninow erinnernden Nebenthema komme, bin ich erleichtert, weil ich eine technische Ruhepause bekomme. Aber die dauert nur eine Minute. Dann geht es wieder los. Es ist wie ein Alptraum. In dem Traum, den ich hatte, spiele ich perfekt, obwohl es niemand hören konnte. Diesmal kommen die Patzer. Nicht viele. Unhörbar für die, die die Sonate nicht kennen, aber hörbar für mich. Hörbar für Rebecca. Vielleicht auch für Sigrun.
Als ich fertig bin, erhebe ich mich, krebsrot im Gesicht, und wage kaum, ins Publikum zu schauen. Aber sie klatschen. Jemand ruft Bravo. Dann habe ich doch die richtige Wahl getroffen, so wie Anja seinerzeit richtig wählte, als sie bei dem Wettbewerb als Zugabe Griegs »Hochzeitstag auf Troldhaugen« spielte. Es hörte sich schwer an.Ich fahre fort mit einigen bekannten Stücken. Die »Revolutionsetüde« von Chopin. Die Sturmwellen der linken Hand klingen kraftlos und ungenau. Instinktiv kaschiere ich es, indem ich das rechte Pedal trete. Das ist eine Notlösung, zu der im allgemeinen nur die schlechtesten Pianisten greifen. Die Situation ist nicht zu retten.
Aber das Publikum schreit, will mehr.
Ich weiß schließlich nicht mehr, was ich spielen soll.
Da spiele auch ich »Hochzeitstag auf Troldhaugen«.
Hilflos wie ich bin.
Kaum bin ich fertig, springt Gunnar Høegh aufs Podium. Hat er nicht gehört, wie schlecht das war? Nein, er hörte es nicht. »Ist er nicht phantastisch!« ruft er begeistert ins Publikum. »Ja!« antwortet das Publikum. »Und haben wir nicht einen phantastischen Flügel!« »Ja!« ruft das Publikum zurück.
Ich verschwinde wieder im Saal. Sofort kommt Sigrun auf mich zu und sagt ruhig:
»Ging doch gut? Den Umständen entsprechend?«
»Du weißt, daß ich es besser kann.«
»Laß dir nichts anmerken«, sagt sie.
Ich gehe zurück zu meinem Platz am Tisch. Rebecca folgt mir mit den Augen. Alle müssen jetzt aufs Klo. Christian auch. Kaum ist er im Gang verschwunden, erhebt sich Rebecca und kommt zu mir, steht über mir wie ein gereizter Oberlehrer, kann nur mühsam den Zorn in ihrer Stimme unterdrücken:
»Das war das Schlimmste, was ich je gehört habe, Aksel! Ich erlaube dir nicht, so schlecht zu spielen. Hast du es nicht selbst gehört?«
»Natürlich habe ich es gehört«, sage
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