Die Frau im Tal
Perfekteste. Das edelste Auto. Die teuerste Hose aus Leder. Umgekehrt war er der Verkrampfteste. Erinnerst du dich an sein Lachen?«
Ich schüttle den Kopf. »Nein«, sage ich. »Ich habe ihn nie lachen gehört.«
»Er hatte das einsamste Lachen auf dieser Welt. Stell dir einen Menschen vor, der weint. Ein Mädchen in einem Flüchtlingslager. Ein vierjähriger Junge allein vor den Trümmern seines Elternhauses nach einem Erdbeben. Bilder der Trauer. Aber nicht zu vergleichen mit dem traurigen Lachen Bror Skoogs.«
Ich nicke. »Ästhetik und Qualität waren für ihn das Wichtigste. Die Möbel. Die Stereoanlage. Der Flügel. Die Frauen im Haus waren auch die schönsten. Er sprengte die Idylle in die Luft. Vielleicht wußte er um seine Macht. Daß er sich unentbehrlich gemacht hatte und daß die andern ihm rasch folgen würden …«
Ein fürchterlicher Gedanke!« sagt Eirik Kjosen schaudernd.
Er hat kein Licht angemacht. Wir sitzen im Stockdunkeln und reden.
»Bald gehen wir hinaus und schauen uns das Nordlicht an«, sagt er. »Hast du es schon einmal gesehen?«
»Nein«, sage ich. »Jemand wollte es mir zeigen. Ich glaube, es war in Berlevåg. Aber ich war zu betrunken.«
»Warum trinkst du soviel?«
»Muß ich darauf antworten? Warum trinkt Sigrun?«
»Das weiß ich eben nicht«, sagt er schließlich. »Es ist diese Distanziertheit an ihr, die dazu führt, daß man sie nicht für sich gewinnen kann. Hattest du dieses Gefühl bei Marianne auch?«
»Leg doch eine Platte auf«, sage ich unruhig.
Er erhebt sich sofort. »Was willst du hören?«
»Schubert. Irgendwas von Schubert.«
Er geht zum Plattenregal. Zögert kurz. Dann legt er »Der Tod und das Mädchen« auf.
»Um Himmels willen.«
»Wörtlich gemeint oder nicht?« sagt er lakonisch.
Wir sitzen da und hören die Musik. Aber ich merke, daß er eigentlich zu unruhig ist, um zuzuhören.
Er beugt sich zu mir.
»Verstehst du wirklich nicht, warum ich Angst habe, sie zu verlieren?«
Es ist, als warte er auf ein schwieriges Stichwort. Ich weiß nicht, ob ich es für ihn parat habe. Ich verstehe auf einmal seine Gastfreundschaft. Er möchte eine Karte anfertigen. Marianne und Sigrun sollen eingeordnet werden. Anja auch.
»Du mußt konkreter werden«, sage ich.
»Ich habe Angst um sie, seit sich Marianne das Leben nahm«, sagt er.
Nachtgestalten.
»Wir gehen jetzt nach draußen.« Er steht auf und geht zur Tür. »Hier sind Stiefel.«
Ich folge ihm. Er will mir seine Welt zeigen. Er will sich zwischen mich und Sigrun drängen. Das kleine, wacklige Gerüst, das wir gebaut haben, will er wieder einreißen und mir dafür seine Freundschaft bieten.
Ich habe das Gefühl, in eine Falle zu tappen.
Wir stehen in der gespenstischen Schneelandschaft und betrachten das gelbgrüne Licht. Der Himmel ist unruhig. Obwohl ich bisher noch kein Nordlicht gesehen habe, meine ich die plötzlichen Lichtbewegungen aus meinen Träumen zu kennen. Gewaltige Energiefelder, die sich nicht erklären lassen. Ich denke an das Radio aus der Kindheit. Das grüne Licht, auf das Mutter immer starrte, wenn sie auf Mittelwelle fieberhaft nach Musik suchte.
Das Nordlicht flackert, sprüht plötzlich und unvorhersehbar weit oben am Himmel.
»Ich fühle mich so klein«, sage ich.
»Das ist der Sinn«, sagt Eirik Kjosen.
Da nehme ich zwischen den Bäumen eine Gestalt wahr. Es ist ein Mann. Reglos steht er da und beobachtet uns zwischen ebenden Baumstämmen, hinter denen ich beim ersten Mal Sigrun und Eirik im Bungalow beobachtete.
Sieht Eirik ihn nicht? Ich weiß nicht, ob ich etwas sagen soll, ihn darauf aufmerksam machen soll, daß wir nicht mehr allein sind. Wie lange steht der Fremde schon da und beobachtet uns? Hat er die ganze Zeit, während wir miteinander redeten, vor dem Bungalow gestanden?
Die Gestalt bewegt sich, kommt auf uns zu. Jetzt bemerkt auch Eirik, daß wir nicht allein sind.
»Gunnar?« sagt Eirik erstaunt. »Du hier ?«
»Ich mußte einfach kommen«, sagt Gunnar Høegh lächelnd. Er trägt eine russische Pelzmütze zu einem fußlangen, grünen Lodenmantel und ist leichenblaß in diesem Licht. »Ich wußte ja, was das für eine Nacht werden würde.«
Die beiden Freunde umarmen sich. Ich sehe, daß Eirik freudig überrascht ist. Dann begrüßt Gunnar Høegh auch mich, fast ebenso herzlich. Es fällt schwer, sich einer solchen Unmittelbarkeit zu entziehen.
»Schön dich zu treffen«, sagt er. »Was treibt ihr denn gerade?«
»Ich weise diesen jungen
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