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Die Frau im Tal

Die Frau im Tal

Titel: Die Frau im Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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Menschen aus der Stadt in das Geheimnis des Nordlichts ein«, sagt Eirik Kjosen lachend.
    »Na dann mal los«, sagt Gunnar Høegh gebieterisch.

    Da stehen wir drei Männer also und starren hinauf zum Himmel. Keiner sagt ein Wort. Wir starren das Polarlicht an, die Elektronen und Protonen, die mehr als neunzig Kilometer über uns mit den Gasen in der Erdatmosphäre kollidieren. Wir sehen die Lichtwellen, die abwechselnd weiß, grün, blau und dann wieder tiefrot leuchten.
    Aber es ist nicht das Nordlicht, das mich am meisten beschäftigt. Es sind die Männer, die, einander die Arme um die Schultern gelegt, zum Himmel schauen. Die Stimmung ist angespannt. Vielleicht bin ich daran schuld. Gunnar Høegh ist möglicherweise überrascht, Eirik Kjosen so spät abends in meiner Gesellschaft zu begegnen. Er ist zweifellos gekommen, um Eirik zu treffen.
    »Das war überwältigend«, sage ich nach einer Weile. »Aber vielleicht sollte ich mich jetzt zurückziehen.«
    »Du darfst nicht gehen!« sagt Gunnar Høegh. »Auf keinen Fall. Du bist jetzt einer von uns .«

    Wie wird man einer von ihnen? denke ich und stapfe einige Schritte hinter ihnen hinunter zum Fluß. Bin ich einer von ihnen, weil wir alle drei eine Beziehung zu Sigrun haben, ein Stück von ihr haben, jeder auf seine Weise?
    Gunnar Høegh hat aus der Innentasche des grünen Lodenmantels eine Flasche Schnaps herausgezogen. Er übernimmt heute abend das Kommando. Er ist es gewöhnt, der Chef zu sein. Er bleibt stehen und zieht den Korken heraus. Wollen wir? Eirik Kjosen setzt die Flasche an den Mund und hält sie hoch hinauf in die Luft. Ich höre, daß er schwer schluckt. Aber der Schnaps ist stark. Er hustet. Mit einer entschuldigenden Bewegung reicht er mir die Flasche. Ich trinke, bin durstig bis aufs Mark. Schmeckt nach Whisky. Schottischer Malt. Sicher ein Präsent für Gunnar Høegh von einem der anderen Direktoren. Jetzt vermischt sich meine Spucke mit der von Eirik Kjosen. Gleich wird Gunnar Høeghs Spucke dazukommen. Wir gehören zu einem exklusiven Club, und Sigrun Liljerot eint uns.

    Ich spüre einen Sog im Zwerchfell, als Gunnar Høegh aus der Flasche trinkt. Warum ist er nicht in Kirkenes? Da ist Sigrun. Warum kommt er hierher ? Er ist der General unseres kleinen Bataillons. Weder Eirik noch ich wagen aufzumucken. Ich bin mir sicher, daß er mit Sigrun ein Verhältnis hat. Er marschiert geradewegs auf den zum Teil vereisten Fluß zu.
    »Gunnar!« ruft Eirik warnend. »Das darfst du nicht!«
    Mir fällt mein Traum mit Rachmaninow ein. Wie er die Grenze aus dem Totenreich überschritt. Das war bitterer Ernst. Dies hier ist nur ein Spiel.
    »Können wir sie nicht ein bißchen ärgern?« sagt Gunnar Høegh vergnügt. »Diese Grenzstreitigkeiten sind eigentlich nur komisch.«
    »Warte!« sagt Eirik Kjosen bestimmt und packt Gunnar Høegh am Arm. »Das bringt uns nur alle in Schwierigkeiten.«
    »Sind sie wirklich so streng?« sage ich.
    »Weißt du denn nicht, daß hier sogar Fotografieren verboten ist?«
    »Dann gibt es dieses Tal eigentlich nicht?«
    »Nein.«
    Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken. Ich sehe plötzlich auf der anderen Flußseite einen Menschen.
    »Psst«, sage ich. »Seht ihr, was ich sehe?«
    Sie stehen mäuschenstill. Sie sehen es auch. Eine Gestalt, die sich im Schutze der Dunkelheit am Ufer entlang auf einen Landungssteg weiter oben am Flußlauf zubewegt.
    »Er versucht die Wachtürme zu umgehen«, sagt Eirik Kjosen mit mühsam unterdrücktem Zorn. »Er kann nicht von hier sein. Sonst wüßte er es besser.«
    Plötzlich rennt die Gestalt hinaus aufs Eis.
    »Das ist Wahnsinn!« flüstert Eirik Kjosen.
    Ein Schuß kracht. Ich sehe das Mündungsfeuer im dichten Wald weiter nördlich. Die Gestalt fällt hin und zappelt. Jemand ruft. Vier Männer kommen hinter den Bäumen hervor, wo ich das Mündungsfeuer sah. In Sekundenschnelle sind sie bei dem Verletzten, ziehen ihn vom Eis und verschwinden mit ihm im Wald.
    »Können wir denn nichts tun?« flüstert Gunnar Høegh.
    »Nein, nichts.«
    Ich stürze zum nächsten Baum und übergebe mich.
    »Gehen wir zurück zum Bungalow«, sagt Eirik Kjosen.
Gespräch unter Männern
    Eirik Kjosen hat den Kamin angezündet. Unsere Gesichter sind gerötet von der plötzlichen Wärme und dem Whisky, den Gunnar Høegh kreisen läßt. Wir sind schockiert über das, was wir gesehen haben. Trafen die Schüsse seine Beine?
    Eirik Kjosen steht am Telefon und spricht mit der Polizei, gibt einen Bericht

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