Die Frau im Tal
finden, daß ich ihr Wörter ins Ohr flüstere.
Sie läßt zu, daß ich sie streichle. Sie ist warm und verschwitzt. Ich taste nach ihrem Hosenknopf, da stoppt sie mich. Aber ich gebe nicht auf, will unter ihre Kleider. Das hat mir Tanja Iversen beigebracht. Ich dachte nicht, daß sie es mögen. Daß sie langsam geweckt werden müßten. Und plötzlich läßt es Sigrun zu. Und ich schicke einen dankbaren Gedanken an Tanja Iversen, daß sie auch mir etwas beigebracht hat, obwohl sie von mir kaum etwas gelernt hat. Zum erstenmal offenbart eine Frau ihr eigenes Begehren, ohne es unter meinem zu verbergen. Das ist ein triumphales Gefühl und doch geheimnisvoll. Als gebe es bei aller Liebe einen Wunsch nach Kontrolle. Einen Wunsch, den ich immer noch spüre, so viele Jahre nachdem das zwischen mir und Sigrun passiert ist. Sie läßt mich die intimsten Dinge machen. Sie versteckt nicht einmal das Gesicht, als es geschieht. Aber als es vorüber ist, weint sie wie Marianne. Und ich muß sie trösten, als sei eine große Trauer zwischen uns gekommen.
Intermezzo im Bett
Sie unternimmt nichts, liegt nur da und streicht mir abwesend und mechanisch über den Kopf. Sie ist in einer anderen Welt.
»Du darfst das Eirik nicht erzählen, verstehst du?«
»Ich verstehe.«
Aber es ist geschehen, denke ich.
Als wäre ich in diesem Moment zum Mann geworden.Als sei all das andere, das viel mehr war, nur Knabenstreiche gewesen.
Wir bleiben angekleidet liegen. Als sei nichts geschehen. Ihre Nacktheit habe ich nur durchs Fenster gesehen, eines Nachts vor vielen Tagen.
»Ich werde das wiedergutmachen«, sagt sie. »Aber du mußt mir Zeit geben. Ich dachte nicht, daß dies geschehen würde. Das hat mit der Situation zu tun, in der ich und Eirik sind.«
»Es hat keine Eile«, sage ich.
»Bist du böse auf mich?«
»Warum sollte ich böse sein?«
Sie erwidert nichts.
»Es wäre eine Tragödie für mich, wenn es zwischen mir und Eirik zum Bruch käme«, sagt sie.
»Das weiß ich. Das vergesse ich nicht«, sage ich.
»Und dann darfst du auch nicht vergessen, daß wir zusammen spielen wollen. Das ist das wichtigste.«
»Morgen«, sage ich. »Da werden wir Brahms spielen.«
»Ja«, sagt sie. »Oben im Bungalow.« Sie küßt mich rasch auf den Mund.
Dann trinkt sie ihr Glas leer.
Als sie gegangen ist, habe ich sie ganz für mich. Ich kann mit geschlossenen Augen daliegen und nacherleben, was geschehen ist. Das müssen noch andere mit ihr gemacht haben, denke ich. Ihre Ausstrahlung. Die Gerüchte, die ihr vorausgingen. Woran versucht sie sich zu klammern? Welches Leben möchte sie leben? Als ginge sie mit dem Rücken zum Wind und habe nicht den Mut, sich ihm entgegenzustellen.
Rachmaninow im Haus des Todes
In dieser Nacht träume ich von Marianne. Wir sind beide im Skoog-Haus. Wir sitzen wie gewohnt still nebeneinander im Wohnzimmer und hören Musik. Ich erkenne die Musik, eine merkwürdige Mischung aus Mahler und Joni Mitchell. Sie nimmt meine Hand. Ich spüre, daß sie verärgert ist. Sie weiß, was zwischen mir und Sigrun war. Sie weiß, daß ich meine Gefühle von den Toten auf die Lebenden übertragen habe, so wie einst die Gefühle von Anja auf Marianne.
»Du bist tot«, sage ich. »Deshalb suche ich nach dir in allem, was lebt.«
»Aber warum gerade Sigrun?«
»Weil sie dir am meisten gleicht.«
Marianne schüttelt traurig den Kopf. »Wir sind immer sehr verschieden gewesen. Sie wird dich nie glücklich machen.«
»Warum habt ihr euch verfeindet?«
»Nicht verfeindet. Voneinander entfernt. Sie wollte zuviel. Verstehst du denn nicht, daß du wegkommen mußt von unserer Familie? Daß sie dein Unglück bedeutet.«
»Du und Anja, ihr wart nie ein Unglück für mich.«
»Doch, das waren wir. Du hast es nicht erkannt. Ich wollte dir die Freiheit geben. Und jetzt sitzt du wieder hier.«
»Welche Freiheit?« sage ich. Ich wage es fast nicht, weiterzusprechen. Es ist so phantastisch, wieder hier mit ihr zu sitzen und zu reden. Mit niemandem konnte ich besser reden.
»Du darfst nicht von mir weggehen«, sage ich mit dem Kopf in ihrem Schoß. Die Tränen rinnen.
»Ich gehe niemals weg von dir«, sagt Marianne. Sie lächelt traurig.Da merke ich, daß jemand bei der Stereoanlage steht und die Platte behutsam wieder in die Hülle steckt.
Es ist Bror Skoog.
Der Kopf ist wieder an seinem Platz. Nur an der Stelle, wo die Schrotladung traf, fehlen Haare. Und eine deutliche Narbe ist zu sehen. Marianne läßt meine Hand los, als
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