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Die Frau im Tal

Die Frau im Tal

Titel: Die Frau im Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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Setesdal.
    Ich nicke. Es wird gut sein, wenn sie mit hineingeht. Wenigstens die ersten Minuten nicht allein. Aber ich habeauch Angst. Obwohl ich die Tabletten gut versteckt habe, könnte sie sie vielleicht finden.

    Drinnen riecht es nach Marianne Skoog. Nach ihrem Parfüm. Ich starre auf die Tür zum Keller, und mir wird einen Moment schwindlig. Das war ihre letzte Wahrnehmung. Die Kellertreppe, die sie hinunterstieg. Der Raum, in dem es geschah, liegt direkt unter mir. Sie hat dieses Haus jetzt verlassen. Sie hat es freiwillig getan. Sie liegt gewaschen und hergerichtet in einem Sarg irgendwo in der Stadt. Trotzdem ist sie hier. Ich kann sie spüren. Sie ist jetzt dicht bei mir. Anja ist ebenfalls hier. Und Bror. All die Toten sind hier. Ich muß fast lachen.
    Die Krankenschwester steht direkt hinter mir.
    »Ist alles okay mit dir?«
    »Ja sicher«, sage ich. »Ich zeige Ihnen das Haus. Es ist ein vornehmes Haus. Gehen wir ins Wohnzimmer. Die exklusiven Möbel hat Bror Skoog angeschafft. Sehen Sie die Couch von Corbusier? Die Barcelona-Stühle? Den Saarinen-Tisch? Die Stereoanlage gehört zu den besten der Welt. Sehen Sie den McIntosh-Verstärker? Die AR-Lautsprecher? Und die Plattensammlung! Wollen Sie zählen?«
    »Kümmere dich nicht um mich«, sagt sie beklommen. »Ich schaue mich kurz um. Ich tue nur, was mir aufgetragen wurde.«

    Marianne sitzt auf der Couch und erwartet mich. Während sich die Krankenschwester im Haus umsieht, setze ich mich neben sie. Wir sitzen still da, wie wir es oft getan haben, bevor einer den andern fragte: »Was sollen wir nun machen?« Ich möchte, daß sie mir ihren Finger zwischen die Rippen bohrt. Ich möchte die Musik hören, die sie fürmich spielt. Ich möchte sie hinaufbegleiten in Anjas Zimmer.
    Aber das wage ich ihr nicht zu sagen. Nicht jetzt. Statt dessen bleiben wir reglos nebeneinander sitzen und schauen durch das Panoramafenster nach draußen, ohne ein Wort zu sagen.

    Die Pflegerin kommt nach einer Runde durch alle Räume ins Wohnzimmer zurück. Erleichtert stelle ich fest, daß sie nichts gefunden hat.
    »Was für ein Haus«, sagt sie und dreht die Augen gen Himmel.
    »Ist alles in Ordnung?«
    »Verzeihung, aber das müssen wir machen. Es ist nicht zu glauben, wie es in manchen Wohnungen aussieht.«
    »Hier ist es immer picobello gewesen.«
    Sie nickt und wendet sich zur Tür.
    »Ich gehe jetzt«, sagt sie.

    Ich bleibe die ganze Nacht auf. Ich spiele die alten Platten, aber nur die von Marianne. Ich öffne die großen Fenster und lausche dem Juniregen, der, kurz nachdem die Sonne hinter den hohen Fichten untergegangen ist, einsetzt. Ich lasse die Zunge über die Wunde im Mund gleiten. Der Löffelköder liegt wie ein absurdes Souvenir auf dem Saarinen-Tisch. Ich höre Nick Drake und denke, daß ich es geschafft habe. Daß ich trotzdem gestorben bin. Daß ich von jetzt an ein anderes Leben führen werde.
    Ich sitze auf einem der Barcelona-Stühle. Ich sehe die Regentropfen, die draußen auf das Gras fallen. Ich verspüre keine Angst.
    Marianne setzt sich neben mich. Sie sagt immer noch nichts. Trotzdem ist es gut, sie hier zu haben.
    Die Tabletten liegen im Flügel. Sicher versteckt im hintersten Schalloch unter dem Deckel.
    Ich nehme sie in die Hand.

    Am nächsten Morgen ruft mich Mariannes Mutter an. Ida Marie Liljerot. Die bekannte Psychiaterin. Sie kommt direkt zur Sache und fragt mich, ob ich wirklich weiterhin in diesem Haus wohnen will. Obwohl sie gute Kontakte zum Krankenhaus hat, merke ich, daß sie nicht weiß, was mit mir passiert ist. Sie weiß nur, daß ich einige Tage nicht da war. In dieser Zeit hat sie sich die Freiheit genommen, ins Haus zu kommen, um Bilder und Papiere zu holen, die sie für das Begräbnis und ihre Rede benötigt. Ich antworte, daß ich gerne so lange wie möglich im Skoog-Haus wohnen möchte.
    »Hältst du das wirklich für eine gute Idee, mein Junge?« sagt sie mit der kühlen Stimme, die aus Radio und Fernsehen so bekannt ist.
    Ich erinnere sie daran, daß ich schließlich Mariannes Mann war. Wenn auch nur für ein paar Monate. Da wird sie still.
    »Meine Wohnung in der Sorgenfrigata ist noch vermietet«, sage ich, um den Druck wegzunehmen. »Ich habe keine andere Unterkunft. Aber ich kann natürlich ausziehen, wenn du unbedingt willst. Wollt ihr verkaufen?«
    »Ich habe noch keine konkreten Vorstellungen«, sagt sie und vermeidet geschickt die Falle, die ich ihr gestellt habe. »Es ist ohnehin nicht leicht, ein Haus zu

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